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Internet-System-Vertrag – Anfechtung wegen arglistiger Täuschung über technische Realisierbarkeit

LG Düsseldorf – Az.: 7 O 311/09 – Urteil vom 27.05.2011

Unter Aufhebung des Vorbehalts-Anerkenntnisurteils vom 13.04.2010 wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in Höhe von 110 % des jeweils zu vollreckenden Betrages Sicherheit leistet.

Tatbestand

Die Klägerin bietet Internet-Dienstleistungen für Unternehmen an. Die Beklagte vertreibt in ihrem Handel unter anderem Luftballons. Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin Ansprüche auf Entgeltzahlungen aus einem mit der Beklagten geschlossenen Internet-System-Vertrag geltend.

Internet-System-Vertrag - Anfechtung wegen arglistiger Täuschung über technische Realisierbarkeit
Symbolfoto: Von ASDF_MEDIA/Shutterstock.com

Den Vertrag mit der Bezeichnung „Euroweb Shop 5000“ schlossen die Parteien am 23.12.2008, wobei eine Laufzeit von 48 Monaten vereinbart wurde. In dem Vertrag verpflichtete sich die Klägerin unter anderem, auf ihrem Server eine Internetpräsenz der Beklagten zu gestalten und zu verwalten, die als „Online-Shop“ ausgestaltet ist. Hinsichtlich der von der Klägerin unstreitig zu erbringenden Leistungen wird auf die Leistungsbeschreibung (Bl. 17 GA) sowie auf die Zusatzvereinbarung (Bl. 18 GA) verwiesen. Die Beklagte verpflichtete sich, als Gegenleistung eine einmalige Anschlussgebühr in Höhe von € 199 sowie ein monatliches Entgelt in Höhe von € 400 an die Klägerin zu zahlen. In der Vertragsurkunde (Anlage K 1, Bl. 15 GA) heißt es unter „Zahlweise: jährlich im voraus (vergleiche auch § 1 der umseitigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen).“ Unter § 1 Abs. 1 der umseitigen AGB heißt es: „Der Berechnungszeitraum beginnt mit dem Datum der Unterschrift unter diesem Vertrag. Das nach diesem Vertrag geschuldete Entgelt ist am Tag des Vertragsabschluss und jeweils am selben Tag des folgenden Jahres jährlich im Voraus fällig. Abweichend von Satz zwei ist im ersten Vertragsjahr das Entgelt dreißig Tage nach Vertragsabschluss jährlich im Voraus fällig.“

Die Beklagte ließ der Klägerin das unter dem 27.02.2009 verfasste Schreiben zukommen. Bezüglich der Einzelheiten des Schreibens wird auf Bl. 108 GA verwiesen.

Nachdem die Beklagte keine Zahlungen an die Klägerin leistete, forderte diese sie mit anwaltlichem Schreiben vom 26.5.2009 auf, das Entgelt für das Jahr 2008 bis zum 5.6.2009 zu zahlen. Mit dem gleichen Schreiben machte sie Anwaltsgebühren in Höhe von € 459,40 sowie Verzugszinsen in Höhe von € 165,55 gegen die Beklagte geltend. Die Beklagte leistete bis zum 9.3.2010 keine Zahlungen an die Klägerin.

Mit Klageerwiderung vom 11.11.2009 focht die Beklagte den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag an.

Die Klägerin hat im Urkundsprozess beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie € 9.836,81 zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von € 5.036,81 seit dem 23.1.2009 sowie einen Betrag in Höhe von € 4.800 seit dem 24.12.2009 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie Schadensersatz in Höhe von € 459,40 nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.6.2009 zu zahlen.

Das Gericht hat mit Vorbehalts-Anerkenntnisurteil vom 13.04.2010 die Beklagte antragsgemäß verurteilt.

Die Klägerin beantragt nunmehr, das Vorbehalts-Anerkenntnisurteil aufrechtzuerhalten.

Die Beklagte beantragt, das Vorbehalts-Anerkenntnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor: Mit dem Geschäftsführer der Beklagten, Herr B…., seien im Wege einer Email-Korrespondenz vor Vertragsschluss Leistungen vereinbart worden, die die Klägerin nicht erbracht habe. Insbesondere sei Voraussetzung für den Vertrag gewesen, dass der Internetauftritt der Klägerin bei der Beklagen sog. Landing-Pages ermögliche. Auch sei erforderlich gewesen, dass zu den einzelnen mit Shop angebotenen Produkten zwischen unterschiedlichen Alternativen ausgewählt werden könne. Diese Voraussetzungen seien bei der Klägerin nicht realisierbar gewesen, so dass ein Transfer der Homepage der Beklagten auf den Server der Klägerin nicht hätte vorgenommen werden können.

Hilfsweise übt die Beklagte ein Zurückbehaltungsrecht wegen Nichterfüllung des Vertrages aus.

Zudem habe sie mit Schreiben vom 27.02.2009 den Vertrag wirksam gekündigt.

Das Gericht hat den Geschäftsführer Herr B…. der Beklagten persönlich angehört und durch Vernehmung der Zeugen Berger und Lemke gemäß Beweisbeschluss vom 12.05.2010 Beweis erhoben. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 24.09.2010 (Bl. 90 ff. GA) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist unbegründet.

Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch in Höhe von € 9.836,81 gemäß § 631 Abs. 1 BGB nicht zu. Die Beklagte hat den Internet-System-Vertrag wirksam gemäß § 649 S. 1 BGB gekündigt. Einen Vergütungsanspruch nach § 649 S. 2 BGB hat die Klägerin nicht dargelegt.

1. Der Internet-System-Vertrag ist wirksam zustande gekommen.

a) Durch Urteil vom 04.03.2010 (Az: III ZR 79/09, abgedruckt in NJW 2010, 1449 ff.) hat sich der Bundesgerichtshof mit dem von der Klägerin vertriebenen Vertragstyp eines Internet-System-Vertrages befasst und diesen als Werkvertrag im Sinne der §§ 631 ff. BGB eingestuft.

b) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Vertrag nicht wegen arglistiger Täuschung wirksam angefochten worden. Eine rückwirkende Nichtigkeit gemäß § 142 BGB liegt nicht vor.

Eine Täuschung durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen durch die Klägerin ist nicht gegeben. Soweit die Klägerin, die Einrichtung von Landing-Pages und unterschiedlicher Angebotsmöglichkeiten für ihre Produkte vertraglich zugesagt hat, hat sie nicht über die technische Realisierbarkeit dieser Maßnahmen getäuscht. Zwar hat die Beweisaufnahme ergeben, dass sowohl die Einrichtung von Landing-Pages als auch die Möglichkeit, ein Produkt auf unterschiedliche Art und Weise anzubieten, zwischen dem damaligen Mitarbeiter der Klägerin, dem Zeugen L…, und der Beklagten vereinbart worden sind. Denn insoweit hat der Zeuge L…. glaubhaft die Aussagen des persönlich angehörten Geschäftsführers der Beklagten bestätigt. Es wird jedoch seitens der Beklagten nicht vorgetragen, dass die Umsetzung dieser Vorgaben für die Klägerin technisch unmöglich sei. Die Beklagte trägt insoweit nur vor, dass nach den Angaben des im Januar erschienenen Webdesigners der Klägerin die Umsetzung zumindest im Rahmen des vereinbarten Systemvertrages und zu dem vereinbarten Preis nicht möglich gewesen sei. Dass die Klägerin überhaupt zur Erbringung dieser Leistungen nicht im Stande war und in Kenntnis dieser Tatsachen, die Leistungserbringung bewusst zugesichert hat, hat die Beklagte nicht vorgebracht. Ob der vereinbarte Leistungsumfang in wirtschaftlicher Hinsicht zu dem Aufwand und dem vereinbarten Preis außer Verhältnis stand, ist insofern irrelevant.

c) Ein Zurückbehaltungsrecht konnte die Beklagte nicht wirksam ausüben, denn sie war vorleistungspflichtig, wie sich aus der im Tatbestand zitierten Vereinbarung i.V.m. den allgemeinen Geschäftsbedingungen ergibt. Diese Vorleistungspflicht ist auch wirksam getroffen worden. Sie hält insbesondere einer Wirksamkeitskontrolle nach den Maßgaben des § 307 BGB stand (vgl. BGH, Az: III ZR 79/09, abgedruckt in NJW 2010, 1449 ff.)

2. Die Beklagte hat den Internet-System-Vertrag aber wirksam nach § 649 S. 1 BGB gekündigt.

a) Mit Schreiben vom 27.02.2009 hat die Beklagte gegenüber der Klägerin die Kündigung erklärt. Der Wille der Beklagten, sich von dem Vertrag zu lösen, wird in dem bezeichneten Schreiben deutlich, sodass eine Erklärung im Sinne des § 649 S. 1 BGB vorlag.

Der Vortrag der Beklagten zu der Kündigungserklärung war auch nicht als verspätet zurückzuweisen. Das Schreiben vom 27.02.2009 war Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Der Beklagtenvertreter reichte das Schreiben in der öffentlichen Sitzung vom 24.09.2010 zu der Gerichtsakte. Die Klägerin stellte den Zugang des Schreibens noch in dieser Sitzung unstreitig und reichte ihr Antwortschreiben vom 03.03.2009 (Bl. 109 GA) zu der Gerichtsakte. Die sich aus dem Schreiben vom 27.02.2009 ergebende Kündigungserklärung, die als solche auch in der öffentlichen Sitzung vom 24.09.2010 besprochen worden ist, gab Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Der insoweit notwendig gewordene Hinweis erfolgte zugunsten der Klägerin.

Auch der Umstand, dass die Kündigungserklärung nach Erlass des Vorbehalts-Anerkenntnisurteils im Nachverfahren eingeführt worden ist, steht der Verwertung dieses Vortrags nicht entgegen. Im Nachverfahren ist neuer Sachvortrag zur materiellen Rechtslage uneingeschränkt zulässig.

b) Da der Internet-System-Vertrag nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 2010, 1449), der sich das Gericht anschließt, insgesamt als Werkvertrag einzuordnen ist, steht dem jeweiligen Vertragspartner der Klägerin auch grundsätzlich das Recht zur sog. freien Kündigung nach § 649 S. 1 BGB zu.

Das Recht zur freien Kündigung nach § 649 S. 1 BGB haben die Parteien auch nicht vertraglich abbedungen. Dahingehende ausdrückliche Abreden enthält der Vertrag nicht. Sie ergeben sich auch nicht durch Auslegung der Klausel in § 2 Abs. 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin in Verbindung mit der Regelung zur Vertragslaufzeit von 48 Monaten. Diese Vertragsgestaltung ist darauf gerichtet, eine etwa für möglich gehaltene, fristgebundene ordentliche Kündigung zu verhindern, um das Interesse der Klägerin an der Erfüllung des Vertrages zu sichern. Dieses Interesse besteht darin, ihr den Vergütungsanspruch für die gesamte Vertragslaufzeit zu erhalten, damit sich ihre Aufwendungen für die Durchführung des Vertrages amortisieren. Eine freie Kündigung nach § 649 S. 1 BGB lässt dieses Interesse unberührt. Dem Unternehmer steht nach § 649 S. 2 BGB die Vergütung abzüglich der ersparten Aufwendungen und anderweitigen Erwerbs zu. Er wird wirtschaftlich dadurch so gestellt, als wäre der Vertrag erfüllt. Es ist deshalb nach objektivem Verständnis kein Grund erkennbar, warum der Unternehmer mit der von ihm gewählten Vertragsgestaltung das freie Kündigungsrecht des Bestellers nach § 649 S. 1 BGB hat ausschließen wollen (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.01.2011, Az. VII ZR133/10).

3. Da sich somit die Kündigung als wirksam erweist, steht der Klägerin ein Vergütungsanspruch nach Maßgabe des § 649 S. 2 BGB zu. Dazu hätte sie die erbrachten und die nicht erbrachten Leistungen darlegen und bezüglich letzterer die ersparten Aufwendungen gegenüberstellen müssen (Palandt-Sprau, BGB, 69. Aufl., § 649 Rdnr. 11 mit Nachw.). Sache der Beklagten ist es dann, höhere Ersparnisse darzulegen und zu beweisen. Im Fall des § 649 S. 2 BGB trifft den Unternehmer eine sekundäre Darlegungslast, was bedeutet, dass er vor dem Besteller am Zuge ist und eine Abrechnung der vereinbarten Vergütung unter Abgrenzung von erbrachten und nicht erbrachten Leistungen und Anrechnung ersparter Leistungen vorzunehmen hat. Denn allein er ist dazu in der Lage, diesen Vergütungsanteil darzulegen, der sich dann regelmäßig aus der dem Vertrag zugrunde liegenden Kalkulation ergibt, die dem Besteller nicht zugänglich ist. Der Unternehmer hat konkret unter Offenlegung seiner Vertragskalkulation vorzutragen, welcher Anteil der für die Mindestvertragslaufzeit insgesamt vereinbarten Vergütung auf die bis zur Kündigung erbrachten Leistungen entfällt (Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.01.2011, Az. VII ZR133/10). Entgegen des Hinweises des Gerichts findet auch die Anschlussgebühr Eingang in die Abrechnung nach § 649 S. 2 BGB. Die Klägerin hat trotz des Hinweises des Gerichts den Vergütungsanspruch nicht dargetan.

Auch die Regelung in § 649 S. 3 BGB verhilft der Klägerin nicht zum Erfolg. Diese Vorschrift gilt nicht für den vorliegenden Vertrag, da er vor dem 1. Januar 2009 abgeschlossen wurde (Art. 229 § 19 Abs. 1 EGBGB).

4. Mangels Zahlungsverpflichtung besteht auch kein Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen bzw. Rechtsanwaltskosten.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: € 9.836,81

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