OLG Schleswig-Holstein, Az.: 6 W 6/16, Beschluss vom 14.06.2016
Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin wird die Streitwertfestsetzung des Landgerichts in der Fassung des Beschlusses vom 9.2.2016 geändert. Der Streitwert für die Zeit bis zum 17.9.2015 wird auf 16.850 € festgesetzt. Im Übrigen bleibt der Beschluss unverändert.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Klägerin ist Inhaberin der ausschließlichen und weltweiten Lizenz für den Betrieb des Computerspiels „D“, das im September 2011 auf den Markt gebracht wurde. Der Beklagte ist Inhaber eines Internetanschlusses. Die Klägerin stellte fest, dass über diesen Anschluss im Rahmen eines Peer-to-Peer-Netzwerkes (“Tauschbörse“) am 4.10.2012 um 19:17 Uhr und um 22:34 Uhr sowie am 5.10.2012 um 8:24 Uhr Dateien des Spiels zum unerlaubten Download für andere Teilnehmer des Netzwerks bereit gehalten wurden. Nach fruchtloser vorgerichtlicher Abmahnung hat sie den Beklagten auf Unterlassen, Erstattung der Abmahnkosten in Höhe von 859,80 €, Zahlung von Teilschadensersatz in Höhe von 600,- €, Auskunftserteilung über weitere Verletzungshandlungen betreffend das Computerspiel und Feststellung der weiteren Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen. Nachdem der Beklagte Auskunft erteilt, eine Unterlassungserklärung abgegeben und den Schadensersatz- und Kostenerstattungsanspruch teilweise anerkannt hat, haben die Parteien den Rechtsstreit im übrigen mit der Maßgabe einer Kostenübernahme durch den Beklagten für erledigt erklärt.
In der mündlichen Verhandlung am 17.9.2015 hat das Landgericht ein entsprechendes Anerkenntnisteil- und Endurteil erlassen. Zugleich hat es den Streitwert auf 7.000,- € festgesetzt. Hiergegen hat einerseits der Beklagte Beschwerde eingelegt mit der Begründung, dass die Streitwertermäßigung infolge der übereinstimmenden Teilerledigungserklärungen nicht erfasst sei. Andererseits haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin aus eigenem Recht mit Schriftsatz vom 11.1.2016 die ihres Erachtens zu niedrige Festsetzung beanstandet; sie erstreben eine Erhöhung des Gegenstandswerts für den Unterlassungsanspruch auf 20.000,- €.
Das Landgericht hat der Beschwerde des Beklagten überwiegend stattgegeben – im übrigen ist sie zurückgenommen worden -, der Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin hingegen nicht abgeholfen. Ungeachtet von Zulassungsbedenken infolge der Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist nach § 33 Abs. 3 RVG sei die Beschwerde jedenfalls unbegründet. Das für die Streitwertbemessung maßgebliche Interesse der Klägerin könne sachgerecht an den dem Urheber des Computerspiels drohenden Lizenzschaden anknüpfen. Diesen habe die Klägerin mit 600 € beziffert. Da das Gericht den Gebührenstreitwert des Antrags auf Unterlassung einer rechtswidrigen Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken in sog. File-Sharing Netzwerken regelmäßig auf den 5-fachen Betrag des im Wege der Lizenzanalogie zu schätzenden Schadens ansetze, ergebe sich hier kein höherer Streitwert als 5.000,- €. Diesen Streitwert erachte das Gericht auch im Hinblick auf wesentlich höhere Streitwertfestsetzungen anderer Gerichte als angemessen. Die unentgeltliche Zurverfügungstellung der Software des Spiels „D“ im Internet über File-Sharing-Netzwerke beeinträchtige die Verwertungsrechte der Klägerin zwar erheblich, weil eine große Anzahl von Nutzern hierdurch von einem Erwerb des Computerspiels absähen. Allerdings werde die Realisierung des Nutzungsrechts nicht ausschließlich durch die Verletzungshandlung des Beklagten, sondern durch alle Verletzungshandlungen sämtlicher Teilnehmer solcher File-Sharing-Netzwerke beeinträchtigt. Hier sei ferner zu berücksichtigen, dass die rechtswidrige Nutzung nicht zu gewerblichen Zwecken erfolgt sei.
II.
Die Beschwerde hat überwiegend Erfolg. Der Streitwert für den Unterlassungsantrag ist auf 15.000,- € festzusetzen. Soweit die Beschwerdeführerin eine darüber hinausgehende Festsetzung begehrt, ist die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beschwerde ist zulässig. Die Beschwerdeführerin wendet sich nicht gegen eine auf ihren Antrag hin ergangene Festsetzung nach § 33 Abs. 1 RVG, die vorzunehmen ist, wenn sich die Rechtsanwaltsgebühren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert berechnen. Gegen eine solche Festsetzung kann in der Tat nur binnen zwei Wochen vorgegangen werden (§ 33 Abs. 3 RVG). Gegenstand der Beschwerde ist vielmehr eine nach § 48 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO ergangene Festsetzung für die Gerichtsgebühren, die nach § 32 Abs. 1 RVG auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend ist. Gegen diese Festsetzung steht dem Rechtsanwalt ein eigenes Beschwerderecht zu (§ 32 Abs. 2 RVG), das nur an die 6-Monatsfrist des § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG gebunden ist (Sommerfeldt/Sommerfeldt in BeckOK RVG, Stand 1.3.2016, § 32 RdNr. 13). Diese Frist ist eingehalten.
Die Beschwerde ist überwiegend begründet.
Wertbestimmend für einen Unterlassungsantrag ist die nach § 3 zu schätzende Schwere der Beeinträchtigung, die wegen des beanstandeten Verhaltens verständigerweise zu besorgen ist und unterbunden werden soll. Im Urheberrecht sind hierfür einmal der Wert des verletzten Schutzrechts und zum anderen die Gefährlichkeit der Verletzungshandlung – der sog. Angriffsfaktor – maßgeblich, die sich aus Art und Umfang der begangenen und drohender weiterer Verletzungshandlungen und der Schwere des Verschuldens ergibt (Herget in Zöller, 31. Aufl. 2016, § 3 RdNr. 16 Stichw. Unterlassung). Vielfach wird sich das nach diesen Kriterien zu bemessende Interesse des Unterlassungsgläubigers unter Rückgriff auf den entstandenen Lizenzschaden bemessen lassen, wie es das Landgericht in seiner ausführlich begründeten Entscheidung getan hat. Sachgerecht ist dies dann, wenn sich die Beeinträchtigung des Verletzten im Wesentlichen in der unerlaubten Nutzung des Werks durch den Verletzer erschöpft, wie es etwa der Fall ist, wenn urheberrechtswidrig Bilder für eigene Zwecke verwendet werden (s. auch Senat, B. v. 20.1.2015 – 6 W 36/14 -, SchlHAnz 2016, 36 zu Zuständigkeitsstreitwert: vierfacher Lizenzwert bei Verkauf eines Bootleg; Senat, B. v. 9.7.2009 – 6 W 12/09 -, SchlHAnz 2009, 362: dreifacher Wert für Verwendung eines Kartenausschnitts; weitere Beispiele etwa OLG Brandenburg NJW-RR 2014, 227: zehnfacher Lizenzwert für Lichtbildnutzung; OLG Hamm GRUR-RR 2013, 39: doppelter Lizenzwert für Lichtbildnutzung).
Der Besonderheit von Urheberrechtsverletzungen im Wege des „File-Sharing“ wird diese Betrachtung jedoch nicht gerecht. Der auf der Grundlage der Lizenzanalogie ermittelte Schaden erfasst nur den Schaden, der dem Verletzten dadurch entstanden ist, dass der Verletzer das Werk – im vorliegenden Fall ein Computerspiel – ohne vorherigen Abschluss eines Lizenzvertrages genutzt hat. Mit dem nach der Lizenzanalogie berechneten Schadensersatz soll der Inhaber des urheberrechtlichen Nutzungsrechts so gestellt werden, als habe er dem Verletzer vertraglich die Nutzung gestattet. Als Schadensersatz wird deshalb die fiktiv vereinbarte Lizenzgebühr geschuldet. (von Wolff in Wandtke/Bullinger, 4. Aufl. 2014, § 97 RdNr. 69, 74; BGH GRUR 2016, 176, 182 RdNr. 65), jedoch – von den GEMA-Fällen abgesehen – kein darüberhinausgehender Aufschlag, durch den etwa das Verschulden des Verletzers noch angemessen berücksichtigt werden könnte (kritisch hierzu im Hinblick auf Art. 13 Abs. 1 Satz 2 b der Richtlinie 2004/48/EG – Enforcement-Richtlinie – von Wolff aaO. RdNr. 82 f). Im Falle der Verletzung im Wege des „File-Sharing“ wird der kommerzielle Schaden, der dem Verletzten dadurch entsteht, dass das Werk einer Vielzahl von Nutzern zur eigenen Verwendung zur Verfügung gestellt wird, nicht erfasst. Dieser Schaden besteht sowohl in entgangenen Lizenzgewinnen aus Verträgen mit diesen Nutzern als auch in einer Beeinträchtigung der kommerziellen Verwertung des Werks insgesamt. Ersichtlich stellt der Bundesgerichtshof deshalb für die Berechnung des Streitwertes von urheberrechtlichen Unterlassungsklagen in „File-Sharing“-Fällen nicht auf die Vervielfachung des Lizenzschadensbetrages mit einem bestimmten Faktor ab. Jedenfalls lässt sich ein solcher Faktor den jüngst veröffentlichten Entscheidungen Tauschbörse I, II und III (BGH GRUR 2016, 176, 184 und 191) nicht entnehmen. In drei weiteren kürzlich entschiedenen, bislang nur als Pressemitteilung veröffentlichten Fällen (I ZR 272/14, I ZR 1/15, I ZR 43/15 und I ZR 44/15; Pressemitteilung Nr. 86/2016 vom 12.5.2016) hat er es ausdrücklich für fehlerhaft gehalten, den Streitwert aus der Verdoppelung des erstattungsfähigen Lizenzschadens abzuleiten und dies damit begründet, dass die zukünftige Bereitstellung eines Werks in einer Internettauschbörse nicht nur dessen Lizenzierung, sondern seine kommerzielle Auswertung insgesamt zu beeinträchtigen drohe.
Da es sich bei dem streitgegenständlichen Computerspiel um ein kommerziell erfolgreiches Werk handelt, das nach dem für die Streitwertbemessung maßgebenden Vortrag der Klägerin auch über ein Jahr nach seiner Einführung noch vielfach verkauft wurde (Schriftsatz vom 16.02.2015 S. 3, Bl. 90 d. A.: zwischen August 2012 und Februar 2013 1 Mio. Verkäufe), erscheint eine Bewertung des Unterlassungsantrags mit 15.000,- € nicht übersetzt. Dabei ist auch berücksichtigt, dass die Verletzungshandlung vorsätzlich war. Dagegen kann nicht mit dem Landgericht streitwertmindernd herangezogen werden, dass das Nutzungsrecht der Klägerin nicht allein durch die Verletzungshandlung des Beklagten, sondern durch alle Verletzungshandlungen sämtlicher Teilnehmer des File-Sharing-Netzwerks beeinträchtigt worden sei. Es wird zwar vertreten, dass dieser Gesichtspunkt bei der Schadensberechnung zu berücksichtigen sei. Es führe zu einer ungerechtfertigten Vervielfachung des Schadensersatzbetrages, wenn mehrere Teilnehmer einer Internettauschbörse wegen derselben Verwertungshandlung abgemahnt und zur Schadensersatzleistung herangezogen würden. Dabei wird jedoch übersehen, dass Anbieter und Tauschpartner im Rahmen des „File-Sharing“ nicht dieselbe Rechtsverletzung begehen (BGH GRUR 2016, 176, 182 RdNrn. 63 f – Tauschbörse I; BGH GRUR 2016, 2016, 184, 188 RdNr. 51 – Tauschbörse II; BGH GRUR 2016, 191, 196 RdNr. 56 – Tauschbörse III; Schaub GRUR 2016, 152, 156).
Allerdings erscheint auch eine höhere Streitwertfestsetzung auf 20.000,- € gerade bei einem Vergleich mit den von der Klägerin in Bezug genommenen anderweitigen Entscheidungen nicht gerechtfertigt. Das OLG Hamburg hat einen Streitwert von 20.000,- € in dem als Anlage zur Beschwerdebegründung eingereichten Beschluss für ein Computerspiel für gerechtfertigt gehalten, das nur knapp 4,5 Monate zuvor eingeführt worden war, worauf in dem Beschluss ausdrücklich hingewiesen wird. Das OLG Köln hat in dem in der Klagschrift (S. 23, Bl. 12 d. A.) genannten Beschluss vom 09.09.2011 – 6 W 165/11 – nicht, wie von der Klägerin vorgetragen, 20.000,- €, sondern 15.000,- € angesetzt. Die weiter dort zitierten Entscheidungen sind, soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht.