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Urheberrechtsverletzung – deliktische Haftung eines 15-Jährigen wegen Filesharing

AG Charlottenburg – Az.: 203 C 438/17 – Urteil vom 19.11.2019

1. Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von Anwaltskosten in Höhe von 430,00 Euro freizustellen.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Schadensersatz in Höhe von 750,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 01.09.2017 zu zahlen

3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet

5. Der Streitwert wird auf 1.180,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin ist Herausgeberin und Vertreiberin von Unterhaltungsmedien. Sie hat den Titel „Landwirtschaftssimulator 2013“ veröffentlicht. Das Computerspiel wurde von einer schweizerischen Firma entwickelt und 2013 an die Klägerin lizenziert.

Die Klägerin beantragte beim Landgericht Köln die Auskunft des Providers darüber, wer am 08.08.2014 um 0:53:29 Uhr, am 08.08.2014 um 0:54:49 Uhr jeweils mit der IP-Adresse … sowie am 08.08.2014 um 8:35:22 Uhr sowie um 8:37:51 Uhr jeweils mit der IP-Adresse … Inhaber des Anschlusses gewesen sei. Aufgrund des Beschluss des Landgerichts Köln zum Geschäftszeichen 213 O 168/14 erteilte der Provider die Auskunft, dass die jeweiligen IP-Adresse zum beauskunfteten Zeitpunkt dem in Deutschland befindlichen Anschluss des Zeugen …… zugeordnet gewesen sei.

Die Klägerin mahnte den Zeugen … mit Schreiben vom 17.09.2014 wegen unberechtigter Nutzung des Computerspiels ab und forderte ihn zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung sowie zur Leistung von Schadenersatz und der Erstattung der ihr entstandenen Anwaltskosten auf. Mit Schreiben vom 03.08.2017 erklärte der Zeuge …, dass zum Tatzeitpunkt der Beklagte bei ihm zu Gast gewesen sei und dieser ihm gegenüber die Tathandlung zugegeben habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 03.08.2017 (Blatt 80-81 d.A. verwiesen). Der Beklagte ist am 05.04.1999 geboren worden. Er lebt in Polen.

Die Klägerin mahnte daraufhin den Beklagten mit anwaltlichen Schreiben, verfasst in polnischer Sprache, vom 15.08.2017 wegen unberechtigter Nutzung des Computerspiels ab.

Die Klägerin behauptet, der Beklagte sei für die ermittelte Urheberrechtsverletzung verantwortlich. Durch die Verfassung der beiden Abmahnschreiben seien vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von jeweils 215,00 € entstanden. Ferner stehe ihr ein Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von mindestens 750,00 € zu.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten wie erkannt zu verurteilen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat zunächst im Schreiben vom 05.03.2019 bestritten, dass er die Urheberrechtsverletzung gegenüber dem Zeugen … zugegeben haben soll. Er sei zudem zum Tatzeitpunkt minderjährig gewesen und er habe das Computerspiel überhaupt nicht genutzt. Im Schreiben vom 23.09.2019 erklärte der Beklagte sodann, dass er das Spiel über die WiFi Verbindung der Familie … heruntergeladen habe. Er sei aber der deutschen Sprache nicht mächtig sei und habe deshalb keine Warnungen darüber gesehen oder gelesen, dass das Spiel kostenpflichtig sei.

Das Gericht hat Beweis gemäß Beschluss vom 18.04.2019 (Blatt 86 d.A.).erhoben durch schriftliche Vernehmung des Zeugen … vor dem Amtsgericht Regensburg. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll des Amtsgerichts Regensburg vom 12.08.2019 zu Geschäftszeichen 3 AR 52/19 (Blatt 100-102) der Akte verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Urheberrechtsverletzung - deliktische Haftung eines 15-Jährigen wegen Filesharing
(Symbolfoto: Von Chepko Danil Vitalevich/Shutterstock.com)

Die Klage ist zulässig. Das angerufene Gericht ist international und örtlich zuständig. Die internationale Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 7 Absatz 2 EuGVVO, da die Handlung in Deutschland begangen wurde. Da der Beklagte seinen Wohnsitz nicht in Deutschland hat, ist gemäß § 104a Abs. 1 Satz 2 UrhG das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen wurde. Da die Handlung über das Internet begangen wurde, ist die Zuständigkeit auch in Berlin eröffnet (sogenannter „fliegender Gerichtsstand“ gemäß § 32 ZPO).

Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von 750,00 Euro nebst Verzugszinsen sowie einen Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

Der Anspruch der Klägerin auf Schadenersatz in Höhe von 750,00 Euro folgt aus § 97 Abs. 2 UrhG i. V.m.§ 828 Abs. 3 BGB. Danach kann der Rechteinhaber vom Anspruchsgegner, auch wenn dieser zur Tatzeit noch minderjährig war, Ersatz eines angemessenen Schadens verlangen, der durch die Verletzung des Urheber- oder eines anderen nach dem UrhG geschützten Rechts entsteht.

Vorliegend ist unstreitig, dass die Klägerin Rechteinhaber im Sinne dieser Norm ist.

Soweit der Beklagte zunächst bestritten hat, dass er die Rechtsverletzung begangen hat, ist sein Schreiben vom 23. September 2019 dahingehend zu verstehen, dass er an dem Bestreiten nicht mehr festhält. Nunmehr gibt er zu, dass er das streitgegenständliche Computerspiel über den Internetanschluss der Familie … heruntergeladen hat. Bei dem Herunterladen über eine Tauschbörse wird zugleich das heruntergeladene Werk öffentlich angeboten, sodass hierdurch eine Rechtsverletzung entsteht. Darüber hinaus hat die Beweisaufnahme durch schriftliche Vernehmung des Zeugen … vor dem Amtsgericht Regensburg am 12.08.2019 ebenfalls ergeben, dass der Beklagte zur Tatzeit bei der Familie … zu Besuch war und dass er auch dort die Urheberrechtsverletzung zugegeben hat. Auch erklärte der Zeuge …, dass der Beklagte zur Tatzeit seinen eigenen Computer dabei gehabt habe und auch die Zugangsdaten für den WLAN Anschluss kannte, da dieser auf einer Tafel in der Küche notiert gewesen seien. Der Zeuge … wiederholt damit im Jahr 2019 die gleichen schriftlichen Angaben, die er gegenüber der Klägerin unmittelbar nach Erhalt des Abmahnschreibens tätigte. Der Zeuge schildert das Geschehene zusammenhängend und nachvollziehbar. Widersprüche zu seinen früheren Angaben bestehen nicht.

Der Beklagte ist für die Rechtsverletzung verantwortlich gemäß § 828 Abs. 3 BGB.

Die zur Erkenntnis seiner Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht im Sinne von § 828 Abs. 3 BGB besitzt, wer nach seiner individuellen Verstandesentwicklung fähig ist, das Gefährliche seines Tuns zu erkennen und sich der Verantwortung für die Folgen seines Tuns bewusst zu sein (BGHZ 161, 180). Für die Bejahung der Einsichtsfähigkeit reicht ein allgemeines Verständnis dafür aus, dass die Handlung gefährlich ist und die Verantwortung begründen kann (BGH, VersR 1970, 374). Die Prüfung der deliktischen Verantwortlichkeit ist hierbei sorgfältig zu trennen von der erst in einem nachfolgenden Schritt vorzunehmenden Verschuldensprüfung (BGH, NJW 1970, 1038; Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Aufl. [2016], § 276 Rdnr. 6). Die Darlegungs- und Beweislast für das Fehlen der Einsichtsfähigkeit trägt der in Anspruch genommene Minderjährige; ab dem Alter von sieben Jahren wird deren Vorliegen vom Gesetz widerlegbar vermutet (BGHZ 161, 180).

Die hiernach bestehende Vermutung seiner deliktischen Verantwortlichkeit hat der Beklagte nicht widerlegt. Sein Vortrag beschränkt sich darauf lediglich zu wiederholen, dass er minderjährig gewesen sei und keinerlei Warnhinweise auf die Illegalität seiner Taten gesehen habe.

Der hiernach als deliktisch verantwortlich anzusehende Beklagte hat schließlich auch schuldhaft gehandelt, denn er hat in jedem Falle zumindest fahrlässig gehandelt.

Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 BGB). Bei einem Minderjährigen kommt es darauf an, ob Kinder bzw. Jugendliche seines Alters und seiner Entwicklungsstufe den Eintritt eines Schadens hätten voraussehen können und müssen und es ihnen bei Erkenntnis der Gefährlichkeit ihres Handelns in der konkreten Situation möglich und zumutbar gewesen wäre, sich dieser Erkenntnis gemäß zu verhalten (BGHZ 161, 180). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Das OLG Hamm hat hierzu für einen zur Tatzeit 12-jährigen wie folgt entschieden:

„Kinder in der Altersgruppe, der der Beklagte zu den hier in Rede stehenden Tatzeitpunkten angehörte, d.h. Kinder, die kurz vor der Vollendung des dreizehnten Lebensjahres stehen, wissen, dass insbesondere im Internet „Raubkopien“ von Softwareprodukten, insbesondere von Spielesoftware, kursieren und dass sie aus dem Internet keine „Raubkopien“ herunterladen dürfen und – erst recht – keine „Raubkopien“ weiterverbreiten dürfen. Ganz besonders gilt dies für Kinder in der hier vorliegenden konkreten Situation, d.h. für Kinder in der hier in Rede stehenden Altersgruppe, die – wie der Beklagte – zuvor von ihren Eltern intensiv und konsequent über die mit Aktivitäten im Internet verbundenen Gefahren belehrt worden sind und denen – wie dem Beklagten – jedwede Beteiligung an Dateiaustauschaktivitäten im Internet ausdrücklich und einschränkungslos verboten worden ist. Es ist Kindern in dieser Altersgruppe auch möglich und zumutbar, sich im Internet so zu verhalten, dass Schädigungen urheberrechtlich geschützter Rechtspositionen vermieden werden.“

(OLG Hamm, Urteil vom 28. Januar 2016 – I-4 U 75/15 –, Rn. 37 – 43, juris)

Der Beklagte war zur Tatzeit bereits 15 Jahre alt und hatte die Tauschbörsensoftware auf seinem Computer installiert. Auch er musste wissen, dass ein solches Computerspiel nicht kostenlos zur Verfügung gestellt wird.

Durch die Rechtsverletzung ist der Klägerin ein Schaden – berechnet nach der Lizenzanalogie – in Höhe von 750,00 Euro entstanden. Die Festlegung der Höhe beruht auf einer Schätzung des Gerichts gemäß § 287 ZPO.

Der Rechteinhaber hat zunächst die Wahl, wie er den ihm entstandenen Schaden berechnet wissen möchte. An diese Wahl ist das Gericht gebunden. Die Klägerin hat sich insoweit auf die Berechnung nach der Lizenzanalogie berufen. Demnach ist der Schaden danach zu bemessen, was vernünftige Parteien bei Abschluss eines Lizenzvertrages in Kenntnis der wahren Rechtslage und der Umstände des Einzelfalls als angemessenes Lizenzentgelt vereinbart hätten (Dreier/Schulze UhrG 4. Aufl., § 97 Rdnr. 61), ohne dass es darauf ankäme, ob der Rechteinhaber überhaupt zum Abschluss eines solchen Vertrages bereit gewesen wäre.

Vorliegend ist insoweit zu berücksichtigen, dass schon wegen der fehlenden Begrenzbarkeit der Weitergabe des Computerspiels die Klägerin keinesfalls bereit gewesen wäre, die kostenlose Weitergabe im Internet zu lizensieren. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass – theoretisch – jeder Tauschbörsenteilnehmer entdeckt und auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden könnte. Maßgeblich ist weiter, dass hier nicht nur einmalig das Computerspiel zum Download angeboten wurde, sondern insgesamt 4 mal an einem Tag. Zudem fanden die Taten weniger als ein Jahr nach Erstveröffentlichung des Computerspiels statt. Die Geltendmachung eines Lizenzschadens in Höhe von 750,00 € ist angesichts der erheblichen Entwicklungskosten für ein Computerspiels daher nicht zu beanstanden.

Der Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten folgt aus § 97a UrhG. Da die Klägerin 2 Abmahnungen aussprechen musste kann sie Ersatz der jeweiligen Kosten ersetzt verlangen. Die Geltendmachung einer 1,3 Geschäftsgebühr ist aber nicht zu beanstanden.

Spätestens nach Ablauf der in der Abmahnung gesetzten Zahlungsfrist befand sich der Beklagte in Zahlungsverzug, so dass ein Anspruch auf Verzugszinsen gemäß § 288 BGB besteht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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