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Urheberrechtsverletzung bei Wiedergabe von Musikwerken bei einem Abiball?

AG Stuttgart – Az.: 4 C 4895/18 – Urteil vom 05.02.2019

1. Der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Wedding vom 26.9.2018 (Aktz: 18-…-0-0) wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Der Streitwert wird auf 856,08 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin ist die deutsche Wahrnehmungsgesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte, die aufgrund von Berechtigungsverträgen mit Komponisten, Textdichtern und Musikverlegern sowie aufgrund von Gegenseitigkeitsverträgen mit anderen ausländischen Verwertungsgesellschaften für das Gebiet der BRD das gesamte Weltrepertoire geschützter Unterhaltung und Tanzmusik vertritt.

Bei dem Beklagten handelt es sich um einen Verein der am 15.7.2017 in der 1000 m2 großen Stadthalle in der Stadt H. den Abiball des Sch. Gymnasium H. veranstaltet hat. Unstreitig wurde bei dieser Veranstaltung geschützte Werke der Tanz- unter Unterhaltungsmusik bei Live-Musikdarbietungen sowie durch selbstvervielfältigte Tonträger wiedergegeben. Für den Abiball wurde ein Eintrittsgeld in Höhe von 20,00 € erhoben, wobei ein Teilbetrag i. H. v. 10,00 € die Kosten des Menüs abdeckte. Die Gesamtbesucherzahl belief sich auf ca. 530 Personen. Zugang zu dem Ball hatten nur die Abiturienten, deren Eltern/Großeltern und nahe Verwandten sowie Lehrer und Tutoren, eine beschränkte Anzahl von Freunden und einzelne Mitglieder des Elternbeirats und des Schulfördervereins.

Die Veranstaltung des Abiballes wurde durch eine Schülerin des Sch. Gymnasium der Klägerin auf einem Fragebogen der Klägerin gemeldet (Bl. 20 der Akten).

Zum Zeitpunkt der Veranstaltung lag eine vertragliche Einwilligung zur Nutzung der geschützten Werke seitens der Klägerin nicht vor. Die Klägerin ist der Ansicht, es habe sich um eine öffentliche Veranstaltung gehandelt und ihr stünde aufgrund einer widerrechtlichen Nutzung ein Schadensersatzanspruch aufgrund Urheberrechtsverletzung gemäß § 97 UrhG zu. Nach der vorgenommenen Berechnung der Klägerin nach den tariflichen Vergütungsätzen, beläuft sich der Schadensersatzanspruch der Klägerin auf 856,08 € (wegen der genauen Berechnung wird auf die Klageschrift Bl. 17,18 d. A. verwiesen).

Mit Schreiben vom 7.12.2017 forderte die Klägerin den Beklagten zur Zahlung eines Betrages auf und mahnte die Zahlung anschließend mit zwei Schreiben an. Nachdem eine Zahlung nicht erfolgte beauftragte die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten mit der Geltendmachung der Forderung. Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Erstattung dieser Kosten in Höhe von 124,00 € sowie 10,00 € für die Versendung der Mahnschreiben.

Am 26.9.2018 hat die Klägerin einen Vollstreckungsbescheid erwirkt, der dem Beklagten am 01.10.2018 zu gestellt wurde. Der Vollstreckungsbescheid wies Hauptforderungen in Höhe von 902,10 € und 13,91 € sowie Nebenforderungen in Höhe von 124,00 € (vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten), 10,00 € (Auskünfte) sowie 16,00 € (Mahnkosten) auf. Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten wurden ab dem 25.8.2018 geltend gemacht.

Die Klägerin beantragt nunmehr unter Zurücknahme der Klage im Übrigen: Der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Wedding vom 26.9.2018 wird mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass der Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 856,08 € nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB hieraus seit Zustellung des Mahnbescheides sowie vorgerichtliche Kosten i. H. v. 144 € zu zahlen.

Der Beklagte beantragt: Der Vollstreckungsbescheid wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Urheberrechtsverletzung bei Wiedergabe von Musikwerken bei einem Abiball?
(Symbolfoto: Von DisobeyArt /Shutterstock.com)

Der Beklagte trägt vor, es habe sich um keinen Abiball im Sinne eines Balles im herkömmlichen Sinne gehandelt. Die wesentlichen Programmpunkte des Abiballes seien die Zeugnisübergabe, die Verleihung von Schul- und sonstigen Preisen sowie Reden und Präsentationen gewesen. Insgesamt seien während der siebenstündigen Veranstaltung gerade acht Musikstücke gespielt worden, wobei ein Musikstück hiervon gar nicht GEMA-pflichtig gewesen sei. Getanzt sei hingegen nicht geworden. Schon allein diese Ausgestaltung des Balles zeige, dass die Musikdarbietung eine völlig untergeordnete Rolle gespielt habe und den Urhebern der Werke hierdurch kein wirtschaftlicher Nutzen entzogen worden sei. Der Beklagte als Veranstalter habe aus den wenigen Musikdarbietung auch keinen irgendwie gearteten wirtschaftlichen Nutzen gezogen, zumal der Abiball nicht beworben wurde.

Der Beklagte ist insbesondere der Ansicht, es handele sich um keine öffentliche Veranstaltung, da die Teilnehmer des Abschlussballes einen individuell ausgewählten beschränkten Teilnehmerkreis bildeten, die sich untereinander kannten und ganz überwiegend und größtenteils – schon aufgrund der langen Zeitspanne von acht bzw. neun Schuljahren- eine persönliche Verbundenheit und Beziehung hatten. Dies gelte sowohl für die Schüler untereinander als auch zu den Lehrern und den Eltern.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Der Einspruch ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Stuttgart ergibt sich aus § 105 Abs. 2 UrhG i. V. m § 13 Abs.3 Nr.2 ZuVOJu.

Der Klägerin steht kein Anspruch auf Schadensersatzanspruch gem. § 97 UrhG i. V. m. § 15 UrhG zu.

Der Beklagte hat die Rechte der Urheber zur öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke nicht dadurch verletzt, dass er während des Abiballes zumindest sieben geschützte Werke dargeboten hat.

Der Begriff der öffentlichen Wiedergabe im Sinne des §§ 15 Abs. 3 UrhG ist in Übereinstimmung mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszulegen. Danach müssen für die Annahme einer öffentlichen Wiedergabe zwei Tatbestandsmerkmale kumulativ vorliegen; nämlich zum einen eine Handlung der Wiedergabe und zum anderen die Öffentlichkeit der Wiedergabe (EuGH C-607/11; BGH I ZR 14 / 14).

Eine Handlung der Wiedergabe umfasst jede Übertragung geschützter Werke unabhängig vom eingesetzten technischen Mittel oder Verfahren und setzt voraus, dass der Nutzer in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens tätig wird um Dritten einen Zugang zum geschützten Werk zu verschaffen, den diese ohne sein Tätigwerden nicht hätten.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, da die geschützten Werke absichtlich dargeboten wurden und die Besucher ohne eine diesbezügliche Erlaubnis des Urhebers die Werke wahrnehmen konnten.

Es fehlt jedoch an der Öffentlichkeit der Wiedergabe.

Der Begriff der Öffentlichkeit setzt nach Auffassung des EuGH eine unbestimmte Zahl potenzieller Adressaten und eine „ziemlich große Zahl von Person“ voraus. Entscheidend ist, dass die Zugänglichmachung eines Werks in geeigneter Weise für „Personen allgemein“ erfolgt, also nicht auf besondere Personen beschränkt ist, die einer „privaten Gruppe“ angehören. Das Publikum muss darüber hinaus für die Wiedergabe aufnahmebereit sein und nicht nur zufällig erreicht werden. Für die Frage einer öffentlichen Wiedergabe ist es hingegen nicht von entscheidender Bedeutung, ob diese zu Erwerbszwecken vorgenommen wurde. Der gewerbliche Charakter der Verbreitung eines geschützten Werkes ist für die Einstufung einer Verbreitung als „öffentliche Wiedergabe“ nicht ausschlaggebend, sondern allenfalls für die Bestimmung der Höhe einer möglichen Vergütung von Bedeutung (BGH I ZR 85/17 juris Rz. 39). Auch die in § 15 Abs. 3 UrhG aufgeführte „Verbundenheit durch persönliche Beziehungen“ ist für die Beurteilung der Öffentlichkeit nur bedingt heranzuziehen. Mit dem BGH ist davon auszugehen, dass der unionsrechtliche Begriff der „privaten Gruppe“ nicht ohne weiteres mit dem für den nationalen Begriff der Öffentlichkeit im Sinne von § 15 Abs. 3 UrhG maßgeblichen Begriff der persönlichen Verbundenheit gleichgesetzt werden kann (BGH I ZR 228/14, Ramses juris Rz.64). Da die Wendung „durch persönliche Beziehungen verbunden“ richtlinienkonform auszulegen ist (vgl Schricker/Loewenheim Urheberrecht 5. Aufl. § 15 Rz. 376), ist somit der unionsrechtliche Begriff der “privaten Gruppe“ ausschlaggebend und die frühere deutsche Rechtsprechung und Literatur zur Überprüfung der Öffentlichkeit unter Berücksichtigung des Begriffes der „Verbundenheit durch persönliche Beziehungen“ daher überholt (vgl. Schricker/Loewenheim a.a.O.)

Der Begriff der privaten Gruppe ist bereits nach seinem Wortsinn weiter als der Begriff der persönlichen Verbundenheit. Zu einer privaten Gruppe kann daher gehören, wer im Sinne von § 15 Abs. 3 S. 2 UrhG nicht mit demjenigen, der das Werk verwertet oder mit den anderen Person, denen das Werk in körperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehung verbunden ist (für die dahingehende (frühere) Definition zur persönlichen Verbundenheit vgl. BGH I ZR 68/73 m.w.N; vgl. BGH Ramses juris Rz.65). Aufgrund der richtlinienkonformen Auslegung ist die Wendung „durch persönliche Beziehung verbunden“ nunmehr dahin auszulegen, dass eine solche Verbundenheit dann anzunehmen ist, wenn es sich bei dem möglichen Empfängerkreis nicht mehr um „Personen allgemein“ im Sinne der Rechtsprechung des EuGH handelt.

Personen allgemein und damit eine Öffentlichkeit liegt dann vor, wenn sich die Wiedergabe an einen unbestimmten Kreis möglicher Empfänger wendet. Ein solcher unbestimmter Kreis ist dann anzunehmen, wenn der Werkzugang auf einer persönlichen Entscheidung des einzelnen Zuschauers beruht und lediglich durch die vorhandenen Kapazitäten der technischen Einrichtungen bzw. der Räumlichkeiten begrenzt wird (vgl. EuGH C-162/10 juris Rz.41).

Aus der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung ergibt sich vorliegend, dass eine Öffentlichkeit nicht anzunehmen ist. Zwar dürfte es sich bei einer Besucherzahl von ca. 540 Personen um „recht viele Personen“ handeln, dies führt jedoch nicht zu einer „automatischen“ Annahme der Öffentlichkeit (vgl BGH I ZR 228/14).

Trotz großer Besucheranzahl, war die Zugänglichmachung der Werke auf einen besonderen Personenkreis beschränkt. Zwar ist nicht ausschlaggebend, dass für den Besuch des Abiballs Eintrittskarten erworben werden mussten, ausschlaggebend ist vielmehr, dass diese Eintrittskarten nur an einen bestimmten abgrenzbaren Personenkreis ausgegeben wurden. Eintrittsberechtigt bzw. zum Erwerb von Eintrittskarten berechtigt waren nur Personen, die einen besonderen, persönlichen Bezug zu den Abiturienten hatten. Eine nicht zu diesem Kreis gehörende Person konnte hingegen nicht an der Veranstaltung teilnehmen. Die Teilnahme war daher nicht nur von der persönlichen Entscheidung des einzelnen Besuches bzw. von den Kapazitäten abhängig, sondern wurde durch weitere Kriterien eingegrenzt, wodurch die Teilnehmer des Abiballes zu einer besonderen, abgrenzbaren Personengruppe geworden sind.

Die Frage der Schadenshöhe kann daher offen bleiben, wobei es für das Gericht nicht nachvollziehbar ist, dass die Klägerin für die streitgegenständliche, nicht erwerbsorientierte Veranstaltung mit lediglich 7 bzw. 8 Musiktitel offenbar den gleichen Tarif zugrunde gelegt hat, den sie auch bei einem zu Erwerbszwecken veranstalteten Tanzball mit 7-stündiger Musikdarbietung berechnet hätte.

Da somit eine öffentliche Wiedergabe von geschützten Werken nicht stattgefunden hat, stehen der Klägerin keine Ansprüche gegen den Beklagten zu.

Der Vollstreckungsbescheid ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff.11, 711 ZPO.

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