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Schadensersatz wegen einer Urheberrechtsverletzung

Höhe des Lizenzschadens

AG Koblenz – Az.: 412 C 962/19 – Urteil vom 21.07.2020

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 20,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.09.2018 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung des jeweiligen Vollstreckungsgläubigers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Der Streitwert wird auf 1.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Gestritten wird um Schadensersatz wegen einer Urheberrechtsverletzung.

Die Klägerin verfügt über die Urheberrechte des Musikalbums „T N B“ des Künstlers … . Vom 25.4.2012 bis zum 27.4.2012 wurde dieses Album von dem Internetanschluss des Beklagten aus in einem Filesharingnetzwerk im Internet kostenlos zum Download angeboten. Eine Lizenz war dafür nicht eingeholt worden. Der Titel war zu diesem Zeitpunkt bei YouTube abrufbar, gleichzeitig wurde er auf verschiedenen kostenpflichtigen Portalen für rund 10,– € zum Download angeboten.

Auf dem Rechner des Beklagten war ein Filesharingprogramm installiert. Der Internetanschluss wurde von dem Beklagten, dessen Ehefrau, der Zeugin … und deren Mutter, der Zeugin …, genutzt. Mit Schreiben vom 15.5.2012 mahnte die Klägerin den Beklagten ab. Dem Verlangen der Klägerin nach Zahlung von Schadensersatz kam der Beklagte nicht nach.

Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe die Rechteverletzung begangen. Die Mitnutzer des Internetanschlusses kämen als Täter nicht in Frage. Sie bestreitet die Durchführung von Nachforschungen durch den Beklagten. Sie hält einen Schadensersatz von mindestens 1.000,— € für angemessen.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerseite einen angemessenen Schadensersatz, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, der jedoch insgesamt nicht weniger als 1.000,- € betragen solle, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 4.9.2018 zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er bestreitet, selbst für die Rechteverletzung verantwortlich zu sein und verweist auf die Mitnutzer. Diese, nach der Abmahnung von ihm befragt, hätten die Tat abgestritten. Den Filesharing-Client habe er selbst installiert, um freie E-Books zu teilen. Den von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatz hält er für überhöht.

Das Gericht hat Beweis erhoben über die Nutzung des Internetanschlusses durch der Mitnutzerinnen durch Vernehmung der Zeuginnen … und … . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Verhandlung vom 10.12.2019 (BI. 274 ff d.A.) und auf das Protokoll des bulgarischen Rechtshilfegerichts (Übersetzung BI. 300 d.A.) verwiesen. Im Übrigen wird zur Darstellung des Sach- und Streitstandes im Einzelnen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.

I.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von lizenzanalog berechneten Schadensersatz in Höhe von 20,– € nebst Zinsen, § 97 Abs. 2 UrhG.

1. Der Beklagte hat das Urheberrecht der Klägerin verletzt, indem er das Album „T N B“ des Künstlers … zum Download im Internet anbot, ohne eine Erlaubnis dazu zu haben. Davon ist das Gericht nach Durchführung der Beweisaufnahme überzeugt.

a) Der Rechteverstoß als solcher ist ebenso unstreitig wie der Umstand, dass er vom Anschluss des Beklagten aus erfolgte. Damit spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Beklagte als Anschlussinhaber verantwortlich ist (z.B. BGH, 11.6.2015, Tauschbörse III).

b) Diese gegen ihn sprechende tatsächliche Vermutung hat der Beklagte nicht erschüttert. Denn es bestehen nach Überzeugung des Gerichts keine konkreten Anhaltspunkte, die ernsthaft darauf schließen lassen, dass ein Dritter für die Rechteverletzung verantwortlich ist. Zwar haben neben dem Beklagten die Zeuginnen … den Internetanschluss genutzt. Diese kommen – davon ist das Gericht nach der Beweisaufnahme überzeugt – jedoch nicht ernsthaft als Täterinnen in Betracht:

– Die Zeugin … hat das Zeugnis verweigert. Sie war zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Rechteverletzung 58 Jahre alt und hat nach den glaubhaften Angaben der Zeugin … mit dem Computer „nicht viel anstellen“ können. Sie habe lediglich Skype und Facebook nutzen können „wenn einer das Passwort eingibt“. Auch nach dem Vortrag des Beklagten hat die Zeugin … den Computer überwiegend für Videotelefonie genutzt, dabei jedoch auch „versehentlich des Öfteren andere Programme und Fenster geöffnet“. Alles das zeichnet das Bild einer Person, die nicht in der Lage ist, bewusst ein Filesharingprogramm zu bedienen. Ein versehentliches Einstellen des streitgegenständlichen Titels in ein Filesharingnetzwerk durch die Zeugin … erscheint dem Gericht als nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen.

– Auch die Zeugin … kommt als Täterin nicht ernsthaft in Betracht. Davon ist das Gericht nach Vernehmung der Zeugin überzeugt. Diese hat glaubhaft versichert, nur über YouTube Musik gehört zu haben, die streitgegenständliche Musik nicht zu kennen und das Filesharingprogramm zwar irgendwann erklärt bekommen, aber nie genutzt zu haben. Die Angaben der Zeugin erschienen dem Gericht glaubhaft. Sie war nach dem Eindruck des Gerichts ehrlich bemüht, die Fragen des Gerichts korrekt zu beantworten. Das Gericht hat keinen Zweifel daran, dass die Zeugin … für die Rechteverletzung nicht verantwortlich ist.

– Damit greift die gegen den Anschlussinhaber sprechende tatsächliche Vermutung. Für seine Verantwortlichkeit sprechen im Übrigen folgende weitere Umstände: Er ist derjenige, der das Filesharingprogramm installiert und genutzt hat. Er hat – allerdings erst, nachdem die Zeugin … darauf hingewiesen hatte – zudem eingeräumt, nach Erhalt der Abmahnung das streitgegenständliche Album auf CD erworben zu haben. Das spricht dafür, dass er – seinen anderslautenden Beteuerungen zum Trotz – ein Interesse an dieser Musik hatte. Dass er den Tonträger allein aus Neugierde nach Erhalt einer unberechtigten Abmahnung gekauft haben will, erscheint dem Gericht als nicht gerade realitätsnah, zumal er sich insoweit ja bei YouTube hätte informieren können.

2. Damit schuldet der Beklagte der Klägerin Schadensersatz, § 97 Abs. 2 UrhG. Die Klägerin macht hier einen nach der Lizenzanalogie zu berechnenden Schadensersatzanspruch geltend, § 97 Abs. 2 Satz 3 UrhG. Das Gericht hält hier einen lizenzanalog berechneten Schaden in Höhe von 20,– € für angemessen, § 287 ZPO. Dieser Schätzung legt das Gericht folgende Erwägungen zugrunde:

a) Lizenzen für das Anbieten von kostenpflichtigen Inhalten in Tauschbörsen werden praktisch nicht erteilt. Auf eine konkrete Vergleichsbasis kann daher nicht zurückgegriffen werden. Der lizenzanalog zu berechnende Schaden ist daher danach zu bestimmen, welchen Marktpreis eine fiktive Angebotslizenz hätte. Dies ist zu schätzen, § 287 ZPO. Nach Auffassung des Gerichts darf das aber nicht dahin missverstanden werden, dass das Gericht völlig frei irgendeinen Betrag bestimmen dürfte. Das wäre schlicht willkürlich.

Urheberrechtsverletzung
(Symbolfoto: Von docstockmedia/Shutterstock.com)

Davon geht auch die – soweit ersichtlich – völlig einhellige Rechtsprechung aus, wonach sich die fiktive Lizenzgebühr an der Zahl der zu erwartenden Downloads zu orientieren hat. Allerdings wird durch die Ermittlungssoftware (mangels technischer Möglichkeit) nicht aufgezeichnet, wie viele Abrufe in Bezug auf ein einzelnes Angebot tatsächlich erfolgen. Diese „Abrufzahl“ kann also nicht ermittelt, sondern wiederum nur geschätzt werden. Die nahezu einhellige Rechtsprechung schätzt diese Quote auf mindestens 400 Abrufe pro Anbieter. Das Gericht hält diese Schätzung für falsch. Es hat den Anschein, dass diese Zahl ein frei gegriffener Wert ist. Eine nähere Erläuterung, wie die Zahl zustande gekommen ist, ist nicht zu finden. Die Annahme von 400 Abrufen pro Anbieter im Filesharingnetzwerk führt auch regelmäßig zu unplausiblen Ergebnissen (vgl. die Beispiele in dem Verfahren AG Koblenz, Urteil vom 25.06.2019-412 C 2178/18, GRUR-RS 2019, 12556).

Zwingend erscheint dem erkennenden Gericht vielmehr folgende Überlegung: Die „Tauschbörsen“ basieren auf der Idee, dass jeder Nachfrager zugleich Anbieter ist, er also die bei ihm vorhandenen Dateien zum Download anbietet. Daraus folgt: Lädt jemand eine Datei – etwa ein Musikalbum – über eine Tauschbörsensoftware herunter, so wird er spätestens in dem Moment, in dem der Download abgeschlossen ist, selbst zum Anbieter dieser Datei. Das heißt nichts anderes, als dass die Zahl der Anbieter mit der Zahl der vollständigen Downloads identisch ist. Auf ein Angebot kommt also ein Abruf. Dagegen spricht im Übrigen nicht, dass Tauschbörsen nach dem Schneeballprinzip funktionieren: Vom Erstanbieter laden einige Nachfrager herunter, die dann selbst wieder als Anbieter zur Verfügung stehen, so dass sich die Anzahl an Anbietern binnen kürzester Zeit vervielfacht. Insoweit sind – das ist richtig – die „frühen“ Anbieter für eine Vielzahl von später erfolgenden Abrufen (mit-)verantwortlich. Umgekehrt aber bedeutet das, dass den letzten Abrufern eine Vielzahl von Anbietern gegenübersteht, die „späten“ Anbieter also nur noch für einen Bruchteil eines Downloads verantwortlich sind (so, wie die unteren Ränge bei Schneeballsystemen im Finanzbereich in der Regel leer ausgehen). An der Tatsache, dass im Durchschnitt ein Abruf auf ein Angebot kommt, ändert das nichts.

Kommt aber auf jeden Anbieter durchschnittlich ein Download, erscheint dem Gericht eine fiktive Lizenzgebühr in Höhe des üblichen Verkaufspreises als angemessen. Der übliche Verkaufspreis belief sich hier auf 10,- €.

b) Zu demselben Ergebnis führt nach Auffassung des Gerichts der Versuch, das von der Anlage her problematische Modell der „fiktiven Lizenz“ zu Ende zu denken. Denn auch dieses Modell berechtigt Gerichte ja nicht dazu, völlig beliebige Lizenzgebühren auszuwerfen. Lässt man sich schon auf das akrobatische Kunststück ein, den Schadensersatz fiktiv lizenzanalog zu berechnen, also den Wert einer fiktiven Lizenz in einem tatsächlich nicht existierenden Markt zu bestimmen, ist konsequenterweise zu überlegen, wie ein solcher fiktiver funktionierender Markt aussähe und welche Verhandlungspositionen die jeweiligen fiktiven Marktteilnehmer hätten.

Die Argumentation der Rechteinhaber, die Lizenz sei in einem nicht kontrollierbaren Filesharingnetzwerk so viel wert wie die komplette Rechteinhaberschaft, hält das Gericht insoweit für ebenso irreführend wie die Argumentation der Netzwerknutzer, eine Angebotslizenz sei für jeden einzelnen Nutzer praktisch wertlos. Denn dies beschreibt nur die Gründe, weshalb es einen realen Markt unter realen Umständen nicht gibt, nicht aber das Verhalten der Marktteilnehmer auf dem fiktiven Lizenzmarkt. Unter den tatsächlich gegebenen Umständen stimmt ja beides: Der Rechteinhaber müsste einen Preis in Höhe der Entwicklungskosten plus Gewinnmarge verlangen, aus Sicht des Filesharingteilnehmers hingegen ist eine ihm erteilte Lizenz nichts wert. Bei der Bezifferung des Wertes einer fiktiven Lizenz hilft das nicht weiter. Will man also den Wert einer fiktiven Lizenz ermitteln und nicht einfach erfinden, so führt der Weg zwingend übereinen imaginierten funktionierenden Markt.

Grundlage eines solchen fiktiven Marktes für Angebotslizenzen in Filesharingnetzwerken könnte nach Auffassung des Gerichts nur eine (real ja nicht stattfindende) Erfassung der Netzteilnehmer und ihre Einbindung in ein Lizenzsystem sein. Es wäre also in dem fiktiven Markt davon auszugehen, dass alle Filesharingteilnehmer in dem Moment, in dem sie nach dem Download einer Datei diese selbst anbieten, erfasst und mit einer Lizenzgebühr belastet würden. Damit wäre wiederum die Zahl der Downloads mit der Zahl der Lizenzen identisch. Unter diesen Umständen wäre billigerweise zu erwarten, dass sich der Preis für eine Lizenz mit dem Preis einer Einheit des Werkes deckte.

c) Das Gericht verkennt im Übrigen nicht, dass der Klägerin, deren Rechte im vorliegenden Fall verletzt worden sind, eine Möglichkeit bleiben muss, effektiv gegen Rechteverletzungen vorzugehen und Schadensersatz geltend zu machen. Die Gewährung effektiven Rechtsschutzes verlangt aber nicht, dass auf falscher, frei „geschätzter“ Tatsachengrundlage eine „fiktive“ Lizenzgebühr in beliebiger Größenordnung gefordert werden kann. Wenn ein Rechteinhaber nur einen niedrigeren, auf einer realistischen Tatsachengrundlage geschätzten Schadensersatz geltend machen kann, ist das keine Versagung eines effektiven Rechtsschutzes. Ein Strafschadensersatz mag zwar besonders effektiv sein, ihn kennt das deutsche Recht aber nicht.

d) Das Gericht hält es allerdings für angemessen, dem Lizenzschaden (analog der Rechtsprechung in „GEMA-Fällen“) einen „Kontrollkostenzuschlag“ von 100 % hinzuzufügen, so dass sich insgesamt ein Betrag von 20,– € ergibt.

3. Der Einwand des Beklagten, das streitgegenständliche Musikalbum sei auf YouTube kostenfrei im Stream zu hören gewesen, ändert daran nichts: Der Besitz eines Tonträgers, der auch offline genutzt werden kann, ist offensichtlich werthaltiger als die bloße Möglichkeit, online auf ein Werk im Streaming zugreifen zu können.

4. Der Zahlbetrag ist unter Verzugsgesichtspunkten zu verzinsen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

 

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