AG Hamburg, Az.: 36a C 45/16, Urteil vom 31.08.2016
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird für die Zeit bis zum 25.04.2016 auf 3.879,80 € und für die darauffolgende Zeit auf 3.786,20 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin fordert als Tonträgerherstellerin des Musikalbums „R.“ des Künstlers E. von der Beklagten wegen des öffentlichen Zugänglichmachens unter Verwendung der Software „B.“ über den Internetanschluss der Beklagten lizenzanalogen Schadensersatz in Höhe von 2.500,- € sowie Abmahnkosten in Höhe von 1.286,20 € aus einem angesetzten Gegenstandswert für den Abmahnvorgang in Höhe von 42.500,- €.
Die Klägerin ermittelte unter anderem folgende Verstoßzeitpunkte:
18.08.2012 unter der IP-Adresse …143
20.08.2012 unter der IP-Adresse …104
23.08.2012 unter der IP-Adresse … 237
Für die weiteren von der Klägerin vorgetragenen Verstöße wird auf die Anlagen K 3, K 7, K 9 und K 11 Bezug genommen.
Die Ermittlungen der Klägerin weisen jeweils die Beklagte als dahinter stehende Anschlussinhaberin aus.
Die Klägerin ließ die Beklagte als ermittelte Anschlussinhaberin mit Anwaltsschreiben vorn 28.08.2012 abmahnen (Anlage K 13).
Mit Anwaltsschreiben vom 04.09.2012 gab die Beklagte eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, verweigerte jedoch die Bezahlung von Kosten.
Die Klägerin behauptet, die Beklagte selbst sei Täterin der streitgegenständlichen Urheberrechtsverletzung. Zumindest hafte die Beklagte, weil die ernsthafte Möglichkeit eines von der Täterschaft der Beklagten abweichenden Geschehensablaufs nicht hinreichend dargetan sei.
Nach dem klägerischen Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids ist dieser der Beklagten am 22.10.2015 zugestellt worden. Auf den Widerspruch vom 28.10.2015 und Nachricht darüber an die Klägerin vom 30.10.2015 hin ist der Rechtsstreit am 29.01.2016 an das Streitgericht abgegeben worden.
Die Klägerin beantragt zuletzt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin
1) Wertersatz in Höhe von 2.500,- € und
2) 1.286,20 € Kostenersatz
jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, die ihr vorgeworfene Urheberrechtsverletzung nicht begangen zu haben. Sie behauptet, in ihrer Wohnung unter anderem ein Zimmer an die Zeugin L. vermietet zu haben, die wiederum im streitgegenständlichen Zeitraum das Zimmer an den Zeugen A. untervermietet habe. Der Zeuge A. habe den fraglichen Download begangen und diesen sowohl vor der Beklagten als auch vor den Zeugen S. und L. zugegeben.
Während der mündlichen Verhandlung vom 14.07.2016 ist die Beklagte persönlich angehört worden. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 14.07.2016 Bezug genommen. Wegen der der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet, da die Klägerin eine Begehung der Urheberrechtsverletzung durch die Beklagte oder ihre Verantwortlichkeit als Störerin nicht nachweisen konnte, § 97 Abs. 2 S. 1, i.V.m. § 19 UrhG.
1. Grundsätzlich trägt die Klägerin nach den allgemeinen Grundsätzen als Anspruchstellerin die Darlegung und Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des geltend gemacht Anspruchs auf Erstattung von Schadensersatz und Abmahnkosten erfüllt sind. Danach obliegt es der Klägerin, dazulegen und nachzuweisen, dass die Beklagte für die von vom Kläger behaupteten Urheberrechtsverletzung als Täterin verantwortlich ist (vgl. BGH, Urteil v. 15.11.2012, I ZR 74/12 – Morpheus).
Aber auch wenn über einen Internetanschluss eine Rechtsverletzung begangen worden ist, ist eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft eine Anschlussinhabers dann nicht begründet, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung auch andere Personen diesen Anschluss benutzen konnten (vgl. BGH Urteil v. 08.01.2014, I ZR 169/12 – Bearshare).
Da die Klägerin über die Wohn- und Lebensverhältnisse der Beklagten zum streitgegenständlichen Zeitraum keine nähere Kenntnisse besaß und auch nicht erlangen kann, trifft die Beklagte eine sekundäre Darlegungslast, in deren Rahmen es ihr obliegt, Umstände vorzutragen, aus denen sich die Möglichkeit der Nutzung ihres Internetanschlusses durch Dritte ergibt, und in diesem Zusammenhang auch das Ergebnis der von ihr durchgeführten Befragungen mitzuteilen (vgl. zuletzt BGH WRP 2016, 57 – Tauschbörse I; WRP 2016,66 – Tauschbörse II; WRP 2016, 73 – Tauschbörse III).
Dieser Verpflichtung ist die Beklagte in ausreichendem Umfang nachgekommen.
Denn ein Anschlussinhaber genügt der sekundären Darlegungslast dadurch, dass er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren auch zu Nachforschungen verpflichtet. Eine wie auch immer geartete Beweislastumkehr zu Lasten der Beklagten ist damit allerdings nicht verbunden. Die sekundäre Darlegungslast dient der Bewältigung von Informationsdefiziten bei der Sachverhaltsaufklärung; sie ändert jedoch nichts an dem Grundsatz, dass keine Partei verpflichtet ist, dem Gegner die für den Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen (Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl. 2016, vor § 284 Rn. 34). Genügt der Anschlussinhaber der sekundären Darlegungslast, ist es also wiederum Sache der klagenden Partei, die Täterschaft des Anschlussinhabers als Beklagten zu beweisen.
Die Beklagte hat ihre sekundäre Darlegungslast erfüllt, indem sie vorgetragen hat, die Rechtsverletzung nicht begangen zu haben und zur fraglichen Zeit die Wohnung nicht selbst genutzt und damit keinen eigenen Zugriff auf den Internetanschluss gehabt zu haben. Außerdem gab sie an, dass insbesondere der Zeuge A. selbständig Zugriff auf den Internetanschluss der Beklagten gehabt und unter anderem ihr gegenüber die Begehung der Rechtsverletzung zugestanden habe. Damit hat sie ihrer Nachforschungspflicht genügt.
Die Beklagte hat damit Tatsachen vorgetragen, die die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs in Form der Rechtsverletzung durch einen Dritten, dem die Nutzung überlassen worden ist, begründen. Aus Sicht des erkennenden Gerichts ist der plausible und detailreiche Vortrag der Beklagten während der ausführlichen informatorischen Anhörung glaubhaft, wonach diese zum Zeitpunkt der Rechtsverstöße die zu dem Internetanschluss gehörige Wohnung nicht selbst bewohnte und keinen eigenen Zugriff auf diesen hatte. Damit erscheint es bereits ausgeschlossen, dass die Beklagte selbst das Musikalbum unerlaubt öffentlich zugänglich gemacht hat. Vielmehr besteht aufgrund des Vortrags der Beklagten in Zusammenschau mit ihren schlüssigen Angaben in der mündlichen Verhandlung und dem von der Beklagten gewonnenen persönlichen Eindruck die ernsthafte Möglichkeit, dass der Zeuge A. die gegenständliche Urheberrechtsverletzung begangen hat.
Mit ihrem Vortrag erklärt sich die Beklagte damit in größerem Umfang zum gegenständlichen Rechtsverstoß, als es ihr nach der Rechtsprechung des BGH oblegen hätte. Denn die Beklagte musste nicht vortragen, wer Täter der Rechtsverletzung ist, oder wer nicht als Täter in Betracht kommt. Dies hat der BGH gerade verneint (BGH, BearShare, a.a.O): „Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast dadurch, dass er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen.“
2. Die Beklagte haftet auch nicht als Störerin, so dass der Ersatz der Rechtsanwaltskosten auch insoweit nicht in Betracht kommt. Als Störer kann analog § 1004 BGB bei der Verletzung absoluter Rechte auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechts beiträgt (BGH GRUR 2011, 152 – Kinderhochstühle im Internet). Dabei kann als Beitrag auch die Unterstützung oder Ausnutzung der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten genügen, sofern der in Anspruch Genommene die rechtliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hatte (BGH GRUR 2004, 438 – Feriendomizil I). Da die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben, setzt die Haftung des Störers nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings die Verletzung zumutbarer Verhaltenspflichten, insbesondere von Prüfpflichten, voraus. Ob und inwieweit dem Störer als in Anspruch Genommenem eine Prüfung zuzumuten ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung seiner Funktion und Aufgabenstellung sowie mit Blick auf die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen hat (BGHZ 185, 330 = GRUR 2010, 633 = WPR 2010, 912 – Sommer unseres Lebens; GRUR 2011, 1038 = WRP 2011, 1609 – Stiftparfüm; vgl. BGH, GRUR 2011, 321). Eine Prüfpflicht kann bereits mit Inbetriebnahme einer technischen Einrichtung entstehen, setzt dann aber eine schon dadurch eintretende Gefährdung absoluter Rechtsgüter Dritter voraus (vgl. BGHZ 185, 330 = GRUR 2010, 633 = WPR 2010, 912 – Sommer unseres Lebens; BGH, GRUR 2011, 321).
Eine Störerhaftung kann auch dadurch begründet werden, dass ein Internetanschluss nicht ausreichend gegen unbefugte Zugriffe gesichert ist: Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung stellt beispielsweise der Betrieb eines nicht ausreichend gesicherten WLANs einen Anknüpfungspunkt für eine Störerhaftung dar (BGH, I ZR 121/08, NJW 2010, 2061 – Sommer unseres Lebens). Hierfür gibt es im vorliegenden Fall allerdings keine Anzeichen.
Der Beklagten war eine Belehrung ohne konkrete Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Nutzung des Internetanschlusses durch einen Dritten nicht zumutbar. Der BGH hat insoweit zuletzt geurteilt, dass den Inhaber eines Internetanschlusses, der volljährigen Mitgliedern seiner Wohngemeinschaft, seinen volljährigen Besuchern oder Gästen einen Zugang zu seinem Internetanschluss ermöglicht, keine anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht trifft (BGH, Urteil v. 12.05.2016, Az. I ZR 86/15 [Pressemitteilung]). Dieser Auffassung schließt sich das erkennende Gericht für die hiesige Sachverhaltskonstellation an. Dabei sieht es insbesondere keinen Anlass dafür – wie von Klägerseite während der mündlichen Verhandlung ins Feld geführt wurde – angesichts der französischen Herkunft des Zeugen A. einen strengeren Maßstab an eventuelle Belehrungspflichten anzulegen. Denn die an Urheberrechtsverstöße geknüpften Sanktionen sind in Frankreich streng, so dass nicht zu erwarten gewesen wäre, dass die Herkunft des Zeugen A. aus diesem „fremden“ Kulturkreis eine grundsätzliche Unkenntnis des Verbots des illegalen Filesharings nach sich zöge.
3. Mangels einer nachgewiesenen Rechtsverletzung durch die Beklagte bestehen damit weder Ansprüche auf Schadenersatz noch auf Ersatz der Abmahnkosten.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708, Nr. 11, 711 ZPO.