Skip to content

Filesharingfälle – Anforderungen zur Erfüllung der sekundären Darlegungslast

AG Kassel – Az.: 410 C 657/22 – Urteil vom 27.10.2022

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 380,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.08.2018 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von der Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 169,50 € freizustellen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Zusammenfassung

Ein Gericht in Kassel hat eine Frau dazu verurteilt, 380 Euro an eine Klägerin zu zahlen, die behauptet, die Frau habe gegen das Urheberrecht verstoßen, indem sie ein Computerspiel illegal über ihren Internetanschluss geteilt habe. Die Frau hatte argumentiert, dass ihr Sohn und sein Freund den Anschluss genutzt haben könnten, aber das Gericht befand, dass sie nicht genug Beweise vorgelegt hatte, um diese Möglichkeit glaubhaft zu machen. Die Frau muss auch die vorgerichtlichen Anwaltskosten der Klägerin erstatten.

  • Ein Gericht in Kassel hat eine Frau dazu verurteilt, 380 Euro an eine Klägerin zu zahlen.
  • Die Klägerin behauptet, die Frau habe gegen das Urheberrecht verstoßen, indem sie ein Computerspiel illegal über ihren Internetanschluss geteilt habe.
  • Die Frau hatte argumentiert, dass ihr Sohn und sein Freund den Anschluss genutzt haben könnten.
  • Das Gericht befand, dass sie nicht genug Beweise vorgelegt hatte, um diese Möglichkeit glaubhaft zu machen.
  • Die Frau muss auch die vorgerichtlichen Anwaltskosten der Klägerin erstatten.
  • Das Urteil folgt der herrschenden Rechtsprechung, dass der Inhaber eines Internetanschlusses eine sekundäre Darlegungslast hat, um seine Haftung als Täter eines Urheberrechtsverstoßes zu widerlegen.
  • Die Entscheidung des Gerichts ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Von der Darstellung wird gem. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist im Hauptantrag gemäß § 97 Abs. 2 UrhG begründet. Die Beklagte haftet für den über ihren Internetanschluss am 11.01.2018 begangenen Filesharingvorfall betreffend das Computerspiel „B“.

Nach § 97 Abs. 2 UrhG haftet jeder, der ein Urheberrecht vorsätzlich oder fahrlässig verletzt. Wird deswegen der Inhaber eines Internetanschlusses wegen eines Urheberrechtsverstoßes auf einer so genannten Tauschbörse Wege des so genannten Filesharing in Anspruch genommen, so trifft ihn eine sekundäre Darlegungslast für diejenigen Tatsachen, die gegen seine Haftung als Täter sprechen. Denn gegen den Anschlussinhaber spricht eine tatsächliche Vermutung für seine Täterschaft und nur er ist in der Lage, Vortrag zu etwaigen weiteren Nutzern zu halten (herrschende Rechtsprechung, z.B. BGH, Urteil vom 22.03.2018 – I ZR 265/16 – Riptide, zit. n. juris; BGH, Urteil vom 27.07.2017 – I ZR 68/16 – Ego Shooter, zit. n. juris; der sich das erkennende Gericht in ständig Rechtsprechung angeschlossen hat, z.B. Urteil vom 04.04.2017 – 410 C 1977/16, zit. n. juris).

Zwar hat die Beklagte hier vorgetragen, ihr Sohn B und dessen Freund C hätten den Internetanschluss (ebenfalls oder ausschließlich, was zwischen den Parteien streitig ist) genutzt. In einem solchen Fall genügt es jedoch nicht, den Vortrag darauf zu beschränken, dass diese Nutzungsmöglichkeit besteht und deswegen die Haftung als Anschlussinhaber ausscheide. Mithin bedarf es der konkreten Nennung eines ernsthaft in Betracht kommenden Alternativtäters (BGH, Urteil vom 30.03.2017, I ZR 19/16 – Loud, zit. n. juris), da ein Anschlussinhaber im Zivilprozess der Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO unterliegt selbst dann, wenn insoweit dem Schutzbereich des Art. 6 GG unterfallende Familienangehörige betroffen sind. Zwar mag dann der Anschlussinhaber auch schweigen dürfen, muss jedoch dann die Konsequenzen dieses Schweigens tragen (BGH a.a.O.). Soweit aber wie hier noch eine familienfremde Person in Betracht kommt, greift bereits der Grundrechtsschutz nicht mehr.

Das Vorbringen der Beklagten hier genügt diesen Anforderungen nicht. Zwar hat sie ihren Sohn B und dessen Freund C benannt, jedoch nicht als potentielle Alternativtäter. Ihr Vorbringen bleibt vielmehr in der Sphäre des ungewissen und ungefähren. Ihrer sekundären Darlegungslast im Sinne der Rechtsprechung des BGH die Beklagte damit nicht Genüge getan. Diese Last ist nur dann erfüllt, wenn die eigentlich beweisbelastete Klagepartei in die Lage versetzt wird, so viel vorzutragen, dass das Gericht in die Lage versetzt wird, im Streitfall Beweis zu erheben. Folglich genügt es nicht, sich lediglich auf die Namensnennung zu beschränken. Erforderlich ist vielmehr auch die Darlegung der Umstände, aus denen ein Anschlussinhaber – wie hier die Beklagte – darauf schließt, dass eine der beiden genannten Personen oder sogar beide als Täter anzusehen sein sollen (BGH, Urteil vom 06.10.2016, I ZR 154/15 – Afterlife, zit. n. juris m.w.N.). Dies bedeutet regelmäßig, dass beispielsweise dazu Vortrag gehalten werden kann und muss, wie sich die als Alternativtäter benannten Personen zu dem Vorwurf ihrer Täterschaft durch Befragen seitens der Anschlussinhaberin gestellt haben. Hier hat die Beklagte nicht einmal vorgetragen, die von ihr genannten Personen überhaupt befragt zu haben (BGH, Urteil vom 12.05.2016, I ZR 48/15 – Every time we touch, zit. n. juris).

Das Gericht war auch nicht gehalten, insoweit weitere Hinweise zu erteilen. Auch wenn die Beklagte über ihre Prozessbevollmächtigten darüber mehrfach ersucht hat, war das Gericht nicht aufgrund einer aus § 139 ZPO folgenden Verpflichtung gehalten, auf die Einzelheiten der eben geschilderten Rechtsansicht konkret hinzuweisen. Denn die Klägerin hat in ihren Schriftsätzen diese Problematik unter Zitierung der einschlägigen Rechtsprechung des BGH bereits hinreichend aufgearbeitet, beispielsweise im Schriftsatz vom 18.03.2022, so dass die anwaltlich vertretene Beklagte ohne weiteres dazu in der Lage war, hierauf in gebotener Intensität Stellung zu nehmen. Hat jedoch die jeweilige Gegenpartei die entscheidenden Rechtsfragen bereits aufgezeigt und dies sogar mit einschlägigen Zitatstellen belegt, so bedarf es keiner weiteren gerichtlichen Hinweise mehr, die keine weitere Erkenntnismöglichkeit bieten. Zudem sind mehrere Entscheidungen des erkennenden Gerichts zu dieser Problematik in jüngerer Vergangenheit publiziert worden (beispielsweise Urteil vom 04.04.2017, 410 C 1977/16, zit. n. juris). Auch hierauf hätte sich die anwaltlich vertretene Beklagte ohne weiteres beziehen können und gegebenenfalls sowohl rechtlich als auch tatsächlich weiter vortragen können. Dies hat sie jedoch nicht getan. Eine weitere vertiefte Hinweispflicht bestand auch deswegen nicht, weil anderenfalls die gebotene richterliche Neutralität nicht mehr gewahrt gewesen wäre.

Fehlt es aber an einer hinreichenden Erfüllung der sekundären Darlegungslast, so greift wieder die ursprüngliche Täterschaftsvermutung (BGH, Urteil vom 30.03.2017, I ZR 19/16 – Loud, zit. n. juris). Die Begehung über den Internetanschluss der Beklagten haben die Parteien im Verlaufe des Rechtsstreits im Ergebnis unstreitig gestellt.

Der Höhe nach hat die Beklagte den Klageanspruch nicht hinreichend substantiiert angegriffen. Der von der Klägerin begehrte Lizenzanalogie Schadensersatzanspruch entspricht dem dem erkennenden Gericht aus einer Vielzahl vergleichbarer gelagerter Fallkonstellationen bekannt gewordenen üblichen Panorama vergleichbarer Schadensersatzansprüche und bewegt sich an dessen unterem Ende. Unterstellt man einen Verkaufspreis für das konkrete Computerspiel von 20 €, entspricht der Schadensersatzanspruch der Höhe nach auch ohne weiteres der so genannten Faktorrechtsprechung, da er das zwanzigfache des Verkaufspreises nicht übersteigt erst recht nicht – wie in der Rechtsprechung vertreten – das hundertfache des Verkaufspreises.

Der Zinsanspruch ist gemäß §§ 286, 286, 288 BGB begründet.

Darüber hinaus kann die Klägerin die Freistellung von der Pflicht zur Zahlung der Abmahnkosten gemäß § 97a Abs. 3 UrhG verlangen, wobei sie korrekt die Begrenzung des Gegenstandswertes für die Abmahntätigkeit auf 1.000 € bei der Berechnung der Höhe der erstattungsfähigen Aufwendungen berücksichtigt hat. In diesem Zusammenhang kann sie auch unter Verzugsschadensersatzgesichtspunkten weiter die Freistellung von den für die Geltendmachung des Schadensersatzanspruches anfallenden Rechtsanwaltsgebühren verlangen. Der Ansatz einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr zuzüglich Auslagenpauschale aus einem Gegenstandswert von 1.380 € ist dabei nicht zu beanstanden.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 504,00 € festgesetzt.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Internetrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Internetrecht und Medienrecht. Wir beraten und vertreten Unternehmen, Selbständige und Privatpersonen bundesweit in allen rechtlichen Angelegenheiten rund um das Internet.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Urteile und Rechtstipps aus dem Internetrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!