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Verjährungsfrist bei Filesharing

AG München, Az.: 234 C 19271/14, Urteil vom 17.04.2015

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Der Streitwert wird auf 955,60 € festgesetzt.

Tatbestand

Verjährungsfrist bei Filesharing
Symbolfoto: Bobo Ling/Bigstock

Die Parteien streiten über einen Schadensersatzanspruch sowie einen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten der Klägerin gegen den Beklagten wegen einer behaupteten Verletzung eines urheberrechtlich geschützten Werkes in einer Internettauschbörse.

Mit Schreiben vom 10.12.2010 mahnte die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigten den Beklagten wegen einer behaupteten Urheberrechtsverletzung über den Internetanschluss des Beklagten am 02.05.2010 ab und forderte diesen zugleich auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben.

Die Klägerin behauptet, Inhaberin ausschließlicher Nufzungs- und Verwertungsrechte an dem Filmwerk … zu sein. Dieses Werk sei über den Internetanschluss des Beklagten am 02.05.2010 im Rahmen einer Internettauschbörse im Internet frei zugänglich gemacht worden.

Die Klägerin ist der Ansicht, die streitgegenständlichen Ansprüche seien nicht verjährt, da die zehnjährige Verjährungsfrist gemäß §§ 102 S. 2 UrhG, 852 BGB gelte. Zudem sei die Verjährung durch die Zustellung des Mahnbescheids gehemmt worden, da die Wirkung der Zustellung des Mahnbescheids auf den Zeitpunkt des Antragseingangs zurückzubeziehen sei.

Die Klägerin beantragt,

1. Die Beklagtenseite wird verurteilt, an die Klägerseite einen angemessenen Schadensersatz, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, der jedoch insgesamt nicht weniger als 400,00 € betragen soll, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlten

2. Die Beklagtenseite wird verurteilt, an die Klägerseite einen Betrag i. H. v. 555,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.

Der Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids ging am 20.12.2013 bei dem Mahngericht ein. Am 29.01.2014 sandte das Mahngericht an die Klägerin die Nachricht über die Nichtzustellung des Mahnbescheids mit dem Vermerk „Empfänger unbekannt verzogen“ ab. Am 19.03.2014 stellte die Klagepartei den Antrag auf Neuzustellung des Mahnbescheids, woraufhin dieser dem Beklagten am 27.03.2015 unter seiner neuen Anschrift zugestellt wurde.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf sämtliche Schriftsätze der Parteien samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.03.2015 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet, da die streitgegenständlichen Ansprüche verjährt sind und der Beklagte damit zu Recht die Leistung verweigerte, §§ 102 S. 1 UrhG, 195, 214 Abs. 1 BGB.

1.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist für die Verjährung des geltend gemachten Schadensersatzanspruches und des Anspruchs auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten für die Abmahnung die dreijährige Verjährungsfrist gemäß §§ 102 S. 1 UrhG, 195 BGB und nicht die 10-jährige Verjährungsfrist gemäß § 102 S. 2 UrhG, § 852 S. 2 BGB analog anwendbar.

Nach § 102 S. 2 UrhG findet § 852 BGB entsprechende Anwendung, wenn der Verpflichtete durch die Verletzung auf Kosten des Berechtigten „etwas erlangt“ hat.

Der BGH hat hierzu mit Urteil vom 27.10.2011 – I ZR 175/10 (GRUR 2012, 715) entschieden, dass im Fall einer unberechtigten öffentlichen Aufführung urheberrechtlich geschützter Werke der Schädiger auf Kosten des Rechteinhabers den Gebrauch dieses Rechts ohne rechtlichen Grund erlangt hat, auch wenn der Veranstalterin kein Entgelt für die Veranstaltung zugeflossen sei. Zu erstatten ist in diesem Fall die angemessene Lizenzgebühr, die den objektiven Gegenwert für den Gebrauch des Immaterialgüterrechts darstellt.

Der von dem BGH entschiedene Fall unterscheidet sich jedoch in seinen tatsächlichen Verhältnissen grundlegend von der Konstellation der hier vorliegenden – behaupteten – Urheberrechtsverletzung im Rahmen eines Filesharings. Bei der von dem BGH zu entscheidenden Urheberrechtsverletzung handelte es sich um die unberechtigte öffentliche Wiedergabe von Musikwerken auf einem Weihnachtsmarkt einer Tochtergesellschaft der Stadt Bochum. Bei der öffentlichen Wiedergabe von Musikwerken ist in diesem Fall der Gebrauch auf Seiten des Schädigers vermögensrechtlicher Natur. Bei dem Weihnachtsmarkt handelt es sich um eine Veranstaltung mit Verkaufsmöglichkeiten, die umso erfolgreicher verläuft, je mehr Publikum anwesend ist. Durch die Musikwiedergabe und die damit verbundene Attraktivitätserhöhung der Veranstaltung soll eine vermehrte Publikumsakzeptanz erreicht werden. Die Veranstalterin hat deshalb einen Vermögenswerten Vorteil durch den illegalen Gebrauch der Musikwerke erhalten, auch wenn ihr kein Entgelt zugeflossen ist.

Dagegen beabsichtigt der Schädiger bei der Nutzung einer Internet-Tauschbörse den Erhalt eines bestimmten Werkes. Er nimmt dabei in Kauf, dass weitere Teilnehmer während des Uploads in der Lage sind, dasselbe Werk ihrerseits herunterzuladen. Der Schädiger hat in diesem Fall aber – anders als bei der Wiedergabe von geschützten Werken auf einer öffentlichen Veranstaltung – gerade keinen eigenen Vorteil davon, dass andere Internetnutzer nunmehr auf das geschützte Werk zugreifen können. Er nimmt dies lediglich in Kauf, um das seinerseits erstrebte Werk zu erhalten (AG Bielefeld, Urteil vom 06.03.2014 – 42 C 368/13, BeckRS 2014, 06751). In diesem Fall kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass der Schädiger durch die über die Internet-Tauschbörse begangene Urheberrechtsverletzung „etwas erlangt“ hat. Die Ermöglichung des Uploads für andere Internetnutzer stellt zwar einen widerrechtlichen Gebrauch des Rechts dar, jedoch fehlt es für ein „Erlangen“ dieses Gebrauchs an dem mit dem Gebrauch verbundenen Vermögensvorteil. Es gibt, im Gegensatz zum BGH-Fall, keine Vermögenswerte Attraktivitätssteigerung durch den Gebrauch des Rechts.

Auch erspart sich der Schädiger einer durch Filesharing begangenen Urheberrechtsverletzung keine Aufwendungen für eine Lizenzgebühr, so dass er keinen Vermögensvorteil aufgrund ersparter Aufwendungen erlangt. Denn dem erkennenden Gericht sind keine Rechteinhaber bekannt, die Lizenzen für Musik- oder Filmwerke für die Zugänglichmachung im Wege des Filesharings anbieten. Der Tauschbörsennutzer erspart sich deshalb keine Lizenzgebühren, weil er diese auch bei einer legalen Vorgehensweise gerade nicht bezahlt hätte (AG Bielefeld, a. a. O.; AG Kassel, Urteil vom 24.07.2014 – 410 C 625/14, MMR 2014, 840). Auch hierin unterscheidet sich eine Urheberrechtsverletzung im Rahmen einer Internet Tauschbörse von der obig zitierten Entscheidung des BGH zum Bochumer Weihnachtsmarkt. Für die Wiedergabe von urheberrechtlich geschützten Werken auf öffentlichen Veranstaltungen werden Lizenzen durch die Rechteinhaber vergeben. Das rechtsgrundlose Nichtentstehen dieser Verpflichtung zur Lizenzzahlung, die bei rechtmäßigem Handeln entstanden wäre, führt in diesem Fall dazu, dass der Verletzer „etwas erlangt“ hat (vgl. Palandt-Sprau, 73. Aufl., § 812, Rn. 10). Besteht jedoch für den Rechtegebrauch – wie beim Filesharing – bereits keine Möglichkeit der Lizenzierung für diese Art der Wiedergabe des Werkes, wäre auch bei rechtmäßiger Wiedergabe des Werks im Rahmen des Filesharings kein Vergütungsanspruch der Rechteinhaber gegeben. Der Rechtegebrauch in Internet-Tauschbörsen beschränkt sich deshalb auf die Rechtsverletzung, ohne dass Lizenzgebühren erspart werden und der Nutzer deshalb etwas erlangt.

Es entspricht auch der Ratio des Gesetzes, dass ein „Erlangen“ i. S.v. § 102 S. 2 UrhG nur gegeben ist, wenn der Gebrauch des Rechtes mit einem Vermögensvorteil verbunden ist. Dies ergibt sich zum einen aus dem Verweis auf § 852 BGB. Die Regelung des § 852 BGB soll verhindern, dass derjenige, der einen anderen durch eine unerlaubte Handlung geschädigt hat und dadurch das eigene Vermögen vermehrt hat, im Besitz dieses Vorteils bleibt (Palandt-Sprau, 73. Aufl., § 852 Rn. 2). Aufgrund des Verweises in § 102 S. 2 UrhG auf die Regelung des § 852 BGB ist für die urheberrechtliche Vorschrift eine der Regelung des § 852 BGB vergleichbare Interessenlage erforderlich.

Zum anderen ergibt sich aus einem Vergleich von § 102 S. 1 UrhG mit § 102 S. 2 UrhG, dass ein „Erlangen“ nur vorliegt, wenn der Gebrauch des Rechts mit einem Vermögensvorteil verbunden ist. Denn eine Urheberrechtsverletzung wird klassischer Weise durch den unberechtigten Gebrauch des Rechts begangen. Nur wenn ein „Mehr“ gegenüber der Verletzungshandlung gemäß Satz 1 gegeben ist, rechtfertigt sich aber die lange Verjährungsfrist des Satzes 2 i. V. m. § 852 BGB. Die Ansicht, dass – unabhängig von einer vermögensrechtlichen Komponente des Erlangten – der Schädiger bereits durch die Rechtsverletzung den Gebrauch des Rechts rechtsgrundlos erlangt (so Geier, NJW 2015, 1149, der jedoch von einer Entreicherung des Tauschbörsennutzers ausgeht) ist aus diesem Grund abzulehnen. Denn sie führt zu einer nicht gerechtfertigten Gleichbehandlung von den Alternativen in § 102 Satz 1 und Satz 2 UrhG mit der Folge, dass für die in Satz 1 bestimmte Regelverjährung von drei Jahren de facto kein Anwendungsgebiet mehr verbleibt.

Letztlich entspricht die Annahme der langen Verjährungsfrist des § 102 S. 2 UrhG, 852 BGB im vorliegenden Fall auch nicht dem Regelungszweck dieser Vorschriften. Durch die lange Verjährungsfrist soll es dem Geschädigten trotz Kenntnis von den haftungsbegründenden Umständen und der Person des Schädigers ermöglicht werden, länger als drei Jahre zuzuwarten und von der alsbaldigen gerichtlichen Geltendmachung des Deliktsanspruchs abzusehen, etwa weil die Rechtslage kompliziert, der Streitwert hoch und die Prozessrisiken erheblich sind (Münch-Komm, Wagner, 6. Aufl., § 852 Rn. 3, 4). Diese Risiken bestehen jedoch bei den typischerweise über Internet-Tauschbörsen begangene Urheberrechtsverletzungen in der Regel gerade nicht.

2.

Die Verjährung wurde auch nicht durch Zustellung des Mahnbescheids am 25.03.2014 unterbrochen, da die Zustellung erst nach Verjährungseintritt erfolgte und die Voraussetzungen für eine Rückwirkung der Zustellung auf den Zeitpunkt der Beantragung des Mahnbescheids am 20.12.2013 gemäß § 167 ZPO analog nicht vorliegen. Eine Rückwirkung der Zustellung setzt voraus, dass die Zustellung des Mahnbescheids „demnächst“ erfolgt. Hierbei hindert zwar der Umzug des Beklagten die Rückwirkung nicht, da die diesbezügliche Verzögerung ihm zuzurechnen ist (vgl. Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 167 Rn. 13). Im vorliegenden Fall ist jedoch maßgebend, dass die Mitteilung über die Nichtzustellbarkeit des Mahnbescheids an die Klägerin bereits am 29.01.2015 abgesandt wurde. Der Antrag auf Neuzustellung durch die Klägerin erfolgte jedoch erst am 19.03.2015 und damit nach über sechs Wochen, bei Berücksichtigung einer Postlaufzeit von drei Tagen. Bei einer Verzögerung von über sechs Wochen zwischen Mitteilung der Nichtzustellbarkeit und Antrag auf Neuzustellung kann jedoch nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Zustellung „demnächst“ erfolgte. Auch wurde von der Klägerin nicht dargelegt, dass sie in dieser Zeit alles ihr Zumutbare für eine alsbaldige Zustellung unternommen hatte und keine frühere Beantragung der Neuzustellung möglich war.

Etwaige Ansprüche der Klägerin aus der behaupteten Urheberrechtsverletzung vom 02.05.2010 sind demnach gemäß § 102 S. 1 UrhG, 195, 199 Abs. 1 BGB mit Ablauf des Jahres 2013 verjährt, so dass der Beklagte zu Recht die Leistung verweigerte, § 214 Abs.1.

3.

Da etwaige Ansprüche der Klägerin jedenfalls verjährt sind, kann offen bleiben, ob die Klägerin Rechteinhaberin des streitgegenständlichen Werks ist und der Beklagte für die behauptete Urheberrechtsverletzung verantwortlich ist.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 708 Nr. 11, 711 ZPO. Der Streitwert wurde gemäß §§ 48, 63 GKG, 3 ZPO festgesetzt.

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