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Filesharing – Einholung eines Sachverständigengutachtens

AG Saarbrücken, Az.: 121 C 97/17 (09). Urteil vom 06.12.2017

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die vorläufige Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abzuwenden, es sei denn, der Beklagte leistete zuvor Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Filesharing – Einholung eines Sachverständigengutachtens
Symbolfoto: REDPIXEL.PL/Bigstock

1. Die Parteien streiten um Ansprüche aus Filesharing.
Die Beauskunftung erfolgte bzgl. eines einzelnen Zeitpunkts 07.12.2012, 23.17:59 Uhr cet.
2. Die Klägerin behauptet, sie sei alleinige Lizenznehmerin und Inhaber in der ausschließlichen Nutzungsrechte für das Filmwerk „Wunder einer Weihnachtsnacht“ einschl. der dazugehörigen Bildtonträger für das Lizenzgebiet Deutschland. Sie legt ein DVD Cover des Filmwerks vor. Der Film wurde am 09.09.2011 erstveröffentlicht. In seiner aktuellen Verkaufsphase wurde der Film online und als DVD zu einem Verkaufspreis von 11,99 Euro veräußert.
Die … GmbH, …, …, … Wiesbaden, habe die Rechte an dem Werk an die Klägerin abgetreten.
Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe am 07.12.2012 das gegenständliche Filmwerk ohne Erlaubnis der Zedentin zum Download angeboten. Diesen Verstoß habe die Fa. … in Person des Ermittlers C S ermittelt. Herr S habe eine entsprechende Datensicherung durchgeführt. Die Fa. … erhalte zunächst die Werke auf einem Originaltonträger des Rechtsinhabers. Anschließend würden die Kopien des Werkes in Filesharing aufgespürt, heruntergeladen und mit dem Original verglichen. Dabei werde durch Herrn S auch die Lauffähigkeit und Abspielbarkeit geprüft. Dann wurde durch ihn der sog. Hash-Wert ermittelt. Zunächst laden sich der Ermittler S das frei zugängliche Programm µtorrent herunter und installiere dies auf der Festplatte. Das Programm werde so eingerichtet, dass man im Rahmen der Suche, wie auch des Downloadvorgangs sogleich erkennen kann, welcher Titel bzw. welcher Hash-Code, welche IP-Adresse, welche Netzwerkeinstellungen, welcher Portfreigaben und welche Größe dem angebotenen Filmwerk zuzuordnen seien. Nach Einrichtung dieser Parameter ohne weitere Software könne der Ermittler mit der Recherche nach unerlaubt angebotenen Filmen beginnen. Nach dem Auffinden eines Werkes lade der Ermittler das Torrentfile in das Filesharingprogramm ein und starte den Download. Das Werk werde zur Beweissicherung auf einer externen Festplatte gespeichert und von ihm mit dem Originalwerk, das ihm der Rechteinhaber zur Verfügung gestellt habe, audio und visuell abgeglichen. Danach erfolge die weitere Ermittlung und Dokumentation des Rechteverstoßes sowie die Feststellung des Hashcodes. Jede Datei, die in Tauschbörsen angeboten werde, sei durch den Hashcode identifizierbar. Beim Start der Ermittlung werde die Systemzeit über den Atomzeitserver der phys. techn. Bundesanstalt in Braunschweig eingestellt. Im Peertransferfenster des Filesharingprogramms würden sowohl alle IP-Adressen, die das Werk anbieten, die Herkunft der IP-Adresse in Form einer Länderflagge anzeigen. Alle im Peertransferfenster ersichtlichen Daten würden auch durch die interne Aufzeichnungsfunktion des Filesharingprogrammes protokolliert. Während des Ermittlungszeitraumes würden alle deutschen IP-Adressen, der Filmtitel, die Uhrzeit der Rechteverletzung, das benutzte Filesharingprogramm, von dem Ermittler händisch über die Kopier- und Einfügefunktion in eine Excelliste übertragen. Im Protokoll würden das Datum, die IP-Adresse mit dem dazugehörigen Port, der Titel des Filmwerkes, die benutze Filesharingsoftware und ein Teil des Filmwerks, dass die jeweilige IP-Adresse anbiete, aufgezeichnet. Somit werde jeder einzelne Verstoß von einer natürlichen Person unter Verwendung der Tauschbörsesoftware beobachtet und gesichert. Weitere Software werde nicht eingesetzt.
So habe der Zeuge S das Filmwerk der Zedentin „Wunder einer Weihnachtsnacht“ über die IP-Adresse … am 07.12.2012 um 23.17:59 Uhr festgestellt. Er habe den Hashcode überprüft und mit dem Werk der Zedentin verglichen.
Die Klägerin behauptet weiter, mit Beschluss des Landgerichts München I vom 12.12.2012, sei der … GmbH & Co. OHG aufgegeben worden, Auskunft über die erforderlichen Daten zu der hier gegenständlichen IP-Adresse zu geben. Dabei sei der Beklagte ermittelt worden.
Die Klägerseite behauptet, der Beklagte habe die Abmahnung vom 13.02.2013 erhalten.
Die Klägerin ist der Ansicht, ihr stünde gem. § 97 Abs. 2 und 97 a Abs. 1 UrhG, § 398 BGB Schadenersatzansprüche zu.
Die Klägerin beantragt, der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Schadensersatzbetrag i.H.v. 400,00 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 654,80 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
3. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet, er habe eine Abmahnung nicht erhalten. Er könne ausschließen, dass der gegenständliche Film auf einem seiner Rechner gewesen sei.
4. Das Gericht hat vom 26.06.2017 einen Beweisbeschluss über ein Sachverständigengutachten erlassen, auf den genauen Inhalt des Beschlusses vom 26.06.2017 wird verwiesen. Im Wesentlichen ging es darum, dass ein Sachverständiger feststellt, ob die von dem Zeugen S durchgeführte Sicherungsmaßnahme geeignet ist, beweissicher einer IP-Adresse bzgl. eines Verstoßes festzustellen und ob sie auch die Länge dieses Verstoßes feststellen kann. Die Klägerin hat daraufhin mitgeteilt, sie werden den Vorschuss nicht bezahlen, obwohl sie zuvor selbst Sachverständigengutachten angeboten hatte. Mit Hinweisbeschluss vom 04.07.2017 hat das Gericht hierauf reagiert. Es hat weitere Zweifel bzgl. der Vorgehensweise, die ohne Sachverständigengutachten nicht ausgeräumt werden können, geäußert. Die Klägerin hat gleichwohl kein Kostenvorschuss eingezahlt. Am 08.11.2017 haben die Parteien erneut mündlich verhandelt. Auf die gewechselten Schriftsätze wird verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
1.
Die Klägerseite hat keine Ansprüche aus dem gegenständlichen Vorfall aus § 97 Abs. 2 S.3 UrhG i.V.m. § 398 BGB.
a)
Der Klägerin kann es nicht gelingen nachzuweisen, dass die behauptete Verletzungshandlung über den Internetanschluss des Beklagten erfolgte. Die Klägerin hat zwar Sachverständigengutachten und Zeugenaussage des Zeugen S hierfür angeboten. Sie hat indes den Kostenvorschuss für das Sachverständigengutachten gem. Beweisbeschluss vom 26.06.2017 nicht eingezahlt.
Ohne Sachverständigengutachten kann ihr der Nachweis indes nicht gelingen. Die Klägerin behauptet einen Geschehensablauf, den sie unter das Zeugnis des Zeugen C S stellt. Auf die Darstellungen dieses Geschehensablaufs im Tatbestand kann insoweit verwiesen werden. Aber selbst für den Fall, dass es der Klägerin gelinge, über das Zeugnis des C S diesen Sachverhalt zur Überzeugung des Gerichts nachzuweisen, fehlt dem Gericht die hinreichende Sachkunde zur Bewertung der technischen Vorgänge. Das Gericht ist zwar durch eine Vielzahl bereits geführter Verfahren im Bereich des Filesharings mit den technischen Grundbegriffen in diesem Bereich vertraut, es kann aber verschiedene Punkte ohne sachverständige Einschätzung nicht überprüfen. Dazu zählen insbesondere folgende:
– Die sichere Ermittlung der IP-Adresse des Verletzerrechners
– die Bildung des Hash-Wertes durch den Zeugen S,
– die Frage, ob der Hash-Wert tatsächlich so eindeutig ist, wie die Klägerseite behauptet,
– die Ganggenauigkeit der vom Zeugen S verwendeten Systeme, insbesondere im Hinblick auf die Zeit.
– Die Dokumentation des Verstoßes einschließlich eventueller Aufzeichnungsfehler
Zwar behauptet die Klägerin, das System des Zeugen S sei an eine Atomuhr gekoppelt und deshalb hinreichend ganggenau. Wie dem Gericht aus anderen Gutachten indes bekannt ist, kann eine Abweichung von wenigen zehntel Sekunden genügen, um eine IP-Adresse falsch zuzuordnen. Dies hängt damit zusammen, dass typischerweise dynamische IP-Adressen im Internet verwendet werden. Ein Provider wie die Telekom oder im gegenständlichen Fall …, vergibt die gleiche IP-Adresse an verschiedenen Kunden. Aufgrund der von … verwendeten elektronischen Systeme kann eine Zeitverschiebung von wenigen zehntel Sekunden dazu führen, dass die gleiche IP-Adresse einem anderen Kunden der Fa. … zugeordnet worden ist. Ohne Überprüfung des Systems des Zeugen S durch einen Sachverständigen, kann sich das Gericht kein Bild über die mögliche Gangungenauigkeit des Systems nach Kopplung an die Atomuhr machen. Insbesondere stellt sich die Frage, welche interne Zeitberechnung das System des Zeugen S verwendet. Wenn eine Kopplung lediglich zu Beginn des Vorgangs erfolgt, kann zwischenzeitlich wieder eine Gangdifferenz eintreten. Dies zu überprüfen vermag das Gericht ohne Sachverständigen nicht. Weiterhin bleibt bei dem System des Zeugen S unklar, über welchen Zeitraum er einen möglichen Verstoß festgestellt haben will, ob jeweils die selbe IP-Adresse mit dem Agent Provocateur Rechner verbunden war und wie dies dokumentiert ist.
Weiter stellt sich die Frage, ob bei dem System des Zeugen S, das anscheinend auf einen Mitschnitt des gesamtes Traffics zwischen dem Agent Provocateur Rechner und dem Verletzerrechner verzichtet, überhaupt eine Rechtssichere Ermittlung der IP-Adresse des Verletzerrerchners möglich ist. Das Gericht stellt sich hierbei insbesondere die Frage, ob es nicht durch Software möglich ist, die IP-Adresse des Verletzerrechners zu verschlüsseln. Auch dies kann nur durch einen Sachverständigen geklärt werden. Weiterhin stellt sich die Frage, ob die vom Zeugen S eingesetzte Software (Torrentsoftware) überhaupt geeignet ist, sekundengenau bzw. noch genauer, die IP-Adresse des jeweiligen Verletzerrechners zu dokumentieren. Dem Gericht ist die Funktionsweise der eingesetzten Software unbekannt. Sollte die Bildschirmansicht der eingesetzten Software indes nur in unregelmäßigen oder größeren Abständen aktualisiert werden, könnte dem Zeugen S eine IP-Adresse angezeigt werden, obwohl diese zum Zeitpunkt des Ablesens der Zeit durch den Zeugen S schon nicht mehr mit dem Agent Provocateur Rechner verbunden ist. Auch diese Frage kann nur durch einen Sachverständigen geklärt werden.
Nach der Rechtsprechung diverser Obergerichte, der sich das Amtsgericht Saarbrücken angeschlossen hat, ist im Falle von zwei Beauskunftungszeitpunkten die Möglichkeit einer Falschbeauskunftung gering. Im gegenständlichen Fall lag indes nur eine einfache Beauskunftung vor, sod ass sich die Problematik der Gangungenauigkeit in verstärktem Maße stellt. Von daher ist es von entscheidendem Gewicht durch den Sachverständigen feststellen zu lassen, wie lange tatsächlich durch den Zeugen S ggfs. beweissicher ein Verstoß festgestellt werden konnte und ob der Beauskunftungszeitpunkt am Anfang, am Ende oder in der Mitte dieses Vorgangs gelegen hat. Alle diese technischen Fragen sind ohne die Hilfe eines neutralen Sachverständigen nicht klärbar. Das Gericht unterstellt, dass auch der Zeuge S teils sachverständig ist. Doch ist er eben nicht neutral, sondern von der Klägerin bzw. der Zedentin beauftragt worden, Rechtsverletzungen festzustellen. Seine Angaben bedürfen daher im Rahmen eines Gerichtsverfahrens der Prüfung durch einen neutralen Sachverständigen.
Dem steht auch BGH, Urteil vom 11. Juni 2015 – I ZR 19/14 -, Rn. 32ff, juris, nicht entgegen. Dort hat der BGH zwar eine Beweisverwertung des Tatrichters ohne Sachverständigengutachten akzeptiert, die Entscheidung hierüber aber gerade dem Tatrichter überlassen. Das hiesige Gericht ist jedenfalls nicht in der Lage, die o.g. technischen Probleme ohne Hilfe eines Sachverständigen sachkundig zu bewerten.
Nachdem die Klägerin, der insoweit die Beweislast obliegt, ohne dass ihr irgendwelche Beweiserleichterungen zugute kämen, den Kostenvorschuss nicht eingezahlt hat, ist sie beweisfällig geblieben.
2.
Die weiteren Ansprüche teilen das Schicksal der Hauptforderung.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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